Ist mein Kind hochsensibel? Hochsensible Kinder erkennen und unterstützen

Hoch- auch Hypersensibilität genannt, ist mittlerweile in aller Munde. Doch was verbirgt sich hinter dem Modewort wirklich?

Im Gespräch mit Anja Harloff, Sonderpädagogin, Coach für Hochsensible und Mutter

Hochsensible Menschen nehmen äußere und innere Reize intensiver wahr und verarbeiten diese anders als ihre Mitmenschen.

Während normalsensible Menschen unwichtige Reize herausfiltern können, gelingt dies hochsensiblen Menschen nicht oder nur in geringem Maße. So muss das Nervensystem ungefiltert alle Eindrücke gleichermaßen verarbeiten. Viele Menschen, laute Geräusche und grelles Licht können daher schnell zur Reizüberflutung führen. Naturerfahrungen, tiefe Begegnungen und schöne Musik dafür intensiver genossen werden. Erstmals erforscht und als "Highly Sensitive Person" (HSP) benannt, hat dies 1997 die US-amerikanische Psychotherapeutin Elaine N. Aron.

Johann ist vier Jahre alt und hochsensibel. Sein Wissensdurst ist unendlich. Denn er möchte die Welt genau verstehen. Sachbücher saugt er regelrecht auf und integriert die neuen Informationen automatisch in bestehendes Wissen. Geschichten, in denen Menschen oder Tiere leiden müssen, hält er dagegen gar nicht aus. Im Kindergarten fühlt er sich im Frühling und Sommer am wohlsten, wenn er im ruhigen Garten spielen kann. Im Winter dagegen stresst ihn die Lautstärke im Gruppenraum sowie das künstliche Licht genauso, wie vorkommende Streitereien unter den Kindern. Johann hat eine gute Beobachtungsgabe. Auch seine Haut ist sehr sensibel, so muss nicht nur der Hosenbund weich sein, auch Falten empfindet er als unangenehm. Ist Johann müde, überreizt oder unterzuckert, reagiert er aggressiv.

Hochsensibilität ist ein genetisch veranlagtes Wesensmerkmal, das bereits bei Babys und Kindern sichtbar werden kann, erzählt Anja Harloff. Hypersensible Kinder nehmen die Welt intensiver und detaillierter wahr. Sie zeichnen sich häufig durch hohe Empathie und Kreativität aus, haben jedoch auch ein großes Ruhebedürfnis. Zirka jedes fünfte Kind ist feinfühlig. Dennoch gleicht kein hochsensibles Kind dem anderen, es gibt introvertierte und extrovertierte Kinder.

Wie können wir feststellen, ob unser Kind hochsensibel ist?

Der Fragebogen aus dem Buch „Das hochsensible Kind“ von Elaine Aron hilft dabei Antworten zu finden. Treffen mehr als 13 Aussagen zu, können Sie davon ausgehen, dass Ihr Kind hochsensibel ist.

Fragebogen „Ist mein Kind hochsensibel?“

 

Mein Kind …

  • erschrickt leicht
  • hat eine empfindliche Haut, verträgt keine kratzenden Stoffe, keine Nähte in Socken oder Etiketten in T-Shirts
  • mag keine Überraschungen
  • profitiert beim Lernen eher durch sanfte Belehrung als harte Bestrafung
  • scheint meine Gedanken lesen zu können
  • hat einen für sein Alter ungewöhnlich gehobenen Wortschatz
  • ist geruchsempfindlich, sogar bei sehr schwachen Gerüchen
  • hat einen klugen Sinn für Humor
  • scheint sehr einfühlsam zu sein
  • kann nach einem aufregenden Tag schlecht einschlafen
  • kommt schlecht mit großen Veränderungen klar
  • findet nasse oder schmutzige Kleidung unangenehm
  • stellt viele Fragen
  • ist ein Perfektionist
  • bemerkt, wenn andere unglücklich sind
  • bevorzugt leise Spiele
  • stellt tiefgründige Fragen, die nachdenklich stimmen
  • ist sehr schmerzempfindlich
  • ist lärmempfindlich
  • registriert Details (Veränderungen in der Einrichtung oder im Erscheinungsbild eines Menschen etc.)
  • denkt über mögliche Gefahren nach, bevor es ein Risiko eingeht
  • erzielt die beste Lösung, wenn keine Fremden dabei sind
  • hat ein intensives Gefühlsleben

 

Wie wir hochsensible Kinder unterstützen können

Feinfühlige Kinder brauchen Bezugspersonen, die sie und ihre Bedürfnisse sehen, erkennen und ernst nehmen! Kinder denken sich Empfindsamkeiten nicht aus, betont Anja Harloff. Wir Erwachsene können für uns selbst sorgen. Wir ziehen die Vorhänge zu, wenn uns das Licht blendet, machen das Fenster zu, wenn es zieht, oder suchen uns einen ruhigen Platz im Lokal. Kinder benötigen dabei unsere Unterstützung.

Hören diese jedoch ständig Bemerkungen wie „Sei doch nicht so empfindlich." oder „Stell dich nicht so an, es ist ja gleich vorbei!" führt dies nur dazu, dass sie beginnen, an sich selbst, ihren Gefühlen und ihrer Wahrnehmung zu zweifeln. Und sich anders einfach „nicht richtig“ zu empfinden.

Unterstützen können wir unsere Kinder, indem wir für ausreichend Erholungs-, Schlaf- und Rückzugsmöglichkeiten sowie eine regelmäßige Ernährung mit ausreichend Zwischenmahlzeiten sorgen.

Meist ist ein Elternteil in der Familie auch hochsensibel. Wenn uns dies nicht bewusst ist oder wir die sensible Seite in uns ablehnen, indem wir immer nur die anderen unterstützen und uns selbst Höchstleistungen abverlangen, ohne uns Pausen zu gönnen, sind das nicht die besten Voraussetzungen für eine gute Vorbildwirkung. Indem wir unsere eigene Hypersensibilität annehmen und gut für uns sorgen, kann sich auch unser Kind als feinfühliges Wesen annehmen.

Dankbar für das Geschenk sein

All die von uns Eltern als anstrengend empfundenen Verhaltensweisen unserer Kinder haben auch eine positive Seite. Hochsensible Kinder sind wahrnehmungsbegabt! Dies äußert sich durch eine Reihe bemerkenswerter Eigenschaften.

Sie besitzen ein ausgeprägtes Einfühlungsvermögen, das ihnen ermöglicht, die Gefühle und Bedürfnisse anderer schnell zu erkennen und tiefe Verbindungen mit anderen Menschen sowie Tieren herzustellen. Ihre intuitive Intelligenz lässt sie oft Dinge wahrnehmen, die anderen verborgen bleiben. Ihre tiefgehende Art der Informationsverarbeitung führt dazu, dass sie komplexe Sachverhalte sehr schnell und umfassend begreifen. Hochsensible Kinder sind häufig sehr gewissenhaft und verantwortungsbewusst, was ihnen in schulischen sowie zwischenmenschlichen Belangen zugutekommt. Ihre Detailorientiertheit lässt sie die Feinheiten in Kunst, Musik und Natur besonders schätzen.

Indem wir gut für unsere Kinder sorgen und ihre individuellen Bedürfnisse erkennen und ernst nehmen, können wir ihre Hochsensibilität nicht nur als Herausforderung, sondern auch als Geschenk wahrnehmen, das das Potenzial hat, ihr Leben und das der Menschen um sie herum zu bereichern.


Anja Harloff:

www.fein-und-stark.de
https://www.linkedin.com/in/kraft-tanken/

Begleitung und Unterstützung feinfühliger Frauen und Mütter.
1:1 sowie in der Gruppe, Online & Präsenz Angebote, kostenloses Erstgespräch

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