Warum im Spiel ALLES erlaubt ist

Schon in sehr jungem Alter stellen Kinder Alltagsszenen spielerisch nach. Durch die ebenfalls spielerischen Reaktionen ihrer Umwelt lernen Kinder, dass man mit den eigenen Impulsen und Wünschen spielen kann, ohne dass sie eine tatsächliche Auswirkung auf die Realität haben.

Der kleine Jakob geht völlig im wilden Spiel mit seinem Papa auf. Sie spielen gerade Räuber und Gendarm, als „es“ passiert: Jakob erschießt seinen Papa mit der Fernbedienung. Er konnte sie gerade noch greifen, bevor er vom Räuber-Papa überwältigt wurde. Päng! Päng! Papa fällt taumelnd zu Boden, krümmt sich und … springt lachend wieder auf. Und das ist gut so, wir werden gleich sehen warum …

Säuglinge nehmen ihre Emotionen zwar wahr, können sie aber nicht zuordnen. Dies ist erst ab einem Alter von 1,5 Jahren möglich.

Im Beitrag Spiegel der Gefühle haben wir uns bereits mit der Affektspiegelung beschäftigt, die im besten Fall am ersten Lebenstag beginnt. Dabei gehen wir davon aus, dass Säuglinge ihre Emotionen und körperlichen Regungen vorerst zwar wahrnehmen, aber nicht zuordnen können. Erst durch die Reaktion der Bezugsperson auf ihren Emotionsausdruck können sie ihre Affekte einordnen und – in späterer Folge – regulieren lernen. Diese Reaktion bzw. Antwort der Bindungsperson wird deshalb in der Fachliteratur „Affektspiegelung“ genannt und ist vor allem im ersten Lebensjahr von zentraler Bedeutung.

Erst ab 1,5 Jahren gewinnt das symbolische Spiel an Bedeutung.

Zwischen ca. eineinhalb und vier Jahren gewinnt aber nach Erkenntnissen der Mentalisierungsforschung das symbolische Spiel an Gewicht. Dabei wird im Symbolspiel mit der Realität gespielt, indem so getan wird, als ob etwas oder jemand so wäre, was oder wer es/er in Wirklichkeit nicht ist. Die Realität wird ausgeblendet.

Spielerischer Umgang mit eigenen Impulsen und Wünschen

Somit besteht eine Möglichkeit über Gefühle und Gedanken zu verfügen, die keinerlei Auswirkungen auf die Welt draußen haben. Das Kind verfügt nun – und das ist eine für das Kind vorher nicht da gewesene Möglichkeit – über die Fähigkeit einer Trennung zwischen innerer Vorstellungswelt und der äußeren realen Welt.

Erst dann kann das Kind zwischen Vorstellungswelt und echter Welt unterscheiden.

Es nimmt Themen aus dem Alltag zum Vorbild und stellt sie im Spiel nach. Laut Forschung hat der Umgang der Erwachsenen mit den spielerischen Äußerungen der Kinder ab ca. eineinhalb Jahren dieselbe Funktion wie die Affektspiegelung im ersten Lebensjahr.

Kinder erschaffen im Spiel eine externe Darstellung ihrer eigenen Zustände, indem sie diese zum Beispiel in Spielfiguren oder Rollen verlagern. Verinnerlicht wird nun nicht mehr nur das Bild, welches das Kind im Gesicht der Eltern von sich vorfindet, sondern auch der Kommentar und die Handlung der Eltern im Spiel.

Kinder können mithilfe von Erwachsenen den Unterschied zwischen Wünschen und Äußerungen erlenen, ohne dass diese Auswirkungen auf die Realität haben. 

Dabei ist es wichtig, dass die Kommentare der Bezugsperson zu den im Spiel dargestellten und externalisierten Selbstzuständen des Kindes ebenfalls im spielerischen Modus gegeben werden. Dadurch wird dem Kind signalisiert, dass man mit den eigenen Impulsen und Wünschen spielen kann, ohne dass sie eine tatsächliche Auswirkung auf die Realität haben.

Sie sind eben Wünsche und keine Handlungen, Gedanken und keine Taten, Repräsentationen von Realität und nicht die Realität selbst.

Phantasie und Leichtigkeit, statt bitterer Ernst und Bedrohlichkeit

Wäre nun der Papa von Lukas beleidigt (immerhin wurde er gerade vom eigenen Sohn „erschossen“) liegen geblieben und hätte überzeugend „tot gespielt“ (damit Lukas sich fürchtet und nie wieder Papa einfach so „abknallt“) wäre die Botschaft an Lukas eine fatale gewesen: Das Spiel hat Auswirkungen im echten Leben. Statt beflügelnder Phantasie und Leichtigkeit, wären dann bitterer Ernst und Bedrohlichkeit „im Spiel“. Wirksam werden solche Lernerfahrungen über viele derartige Interaktionen.

Wir müssen uns also nicht fürchten, dass eine einmalige suboptimale Erfahrung im Spiel unser Kind blockiert. Und doch ist es gut zu wissen, warum im Spiel alles erlaubt ist.

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Ein Artikel von

Portraitfoto Iris Van den Hoeven

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