Endlich wird der Elementarpädagogik Achtung geschenkt

Endlich richten die Medien den Fokus auf eine bislang unterschätzte Berufsgruppe: Elementarpädagogik. Seit Jahren versuchen Mitarbeiter/innen des Kindergartens auf die problematischen Arbeitsbedingungen aufmerksam zu machen. Ohne Erfolg – bis jetzt! Denn die Stimmen für eine bessere Lage in Kindergärten und anderen Betreuungseinrichtungen werden immer lauter und es scheint als würden die Medien und die Politik endlich aufwachen.

Wenn ich meinen Beruf vorstelle – ich bin Elementarpädagogin – dann blicke ich meistens in fragende Gesichter. Dann verbessere ich mich mit „Ich arbeite im Kindergarten … Ich bin Kindergartenpädagogin“ Plötzlich taucht ein Aha-Erlebnis beim Gegenüber auf. Wobei selbst „Pädagogin“ oft noch zu topaktuell ist und ich im weiteren Gesprächsverlauf zur „Kindergärtnerin“ werde. Was ich ja irgendwo ganz lieb finde – schließlich begleite ich ja Kinder in den ersten Lebensjahren beim „Wachsen“. Die Vorstellung, dass aus einem kleinen Samen eines Tages eine wundervoll blühende Blume wird, gefällt mir.

Die Vorstellung, dass aus einem kleinen Samen eines Tages eine wundervoll blühende Blume wird, gefällt mir.

Nichtsdestotrotz möchte ich keine verniedlichte Variante meiner Jobbezeichnung. Ich gärtnere nicht, ich betreue Kinder. Was ich so gar nicht lieb finde, ist die Berufsbezeichnung „Kindergartentante“. Das wäre nämlich gelogen. Ich bin keine Tante der Kinder, die ich betreue. Und ich möchte auch nicht von den Kindern „Tante“ genannt werden. Ich begegne Kindern gerne auf Augenhöhe und nenne sie beim Vornamen – so wünsche ich mir das auch umgekehrt von den Kindern.

Ich begegne Kindern gerne auf Augenhöhe und nenne sie beim Vornamen – so wünsche ich mir das auch umgekehrt von den Kindern.

Es ist mir wichtig, die Berufsbezeichnung „Elementarpädagogin/-pädagoge“ in den Köpfen der Gesellschaft zu verankern. Ich habe Verständnis für die Macht der Gewohnheit, aber mittlerweile sollte doch der Begriff „Elementarpädagogin/-pädagoge“ kein Fremdwort mehr sein und „Kindergärtnerin“ nicht mehr in Zeitungen abgedruckt werden.

Wenn wir schon bei Begriffserklärungen sind, dann möchte ich auch auf die Veränderung der Bezeichnung der Ausbildung hinweisen: Denn BAKIP (Bildungsanstalt für Kindergartenpädagogik) wurde zu BAfEP (Bildungsanstalt für Elementarpädagogik). Klingt ungewöhnlich lustig, soll, denke ich aber, den Beruf aufwerten und aufzeigen, dass die Ausbildung nicht nur für die Betreuung von Kindergartenkinder gilt. Coole Sache eigentlich, vorausgesetzt die Änderung wird auch an die Gesellschaft getragen.

So, die Terminologie hätten wir nun geklärt. Nun lasst uns doch mal schauen, wie es in einer Gruppe aussieht:

  • Kindergartengruppe (3- bis 6-Jährige): 25 Kinder - 1 Pädagogin/Pädagoge und 1 Assistent/in
  • Kleinkindgruppe (10 Monate bis 3 Jahre): 15 Kinder - 1 Pädagogin/Pädagoge und 1 Assistent/in

 

Angemerkt muss werden, dass der Betreuungsschlüssel je nach Bundesland variiert, was ich persönlich als unfair empfinde, schließlich haben alle Kinder das gleiche Recht auf einen besseren Betreuungsschlüssel sowie alle Erzieher/-innen mit derselben Ausbildung die gleichen Arbeitsbedingungen vorzufinden. Für all jene, die den Betreuungsschlüssel nicht schockierend erachten, möchte ich einen Einblick in die Praxis geben.

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Praxisbeispiel Kleinkindgruppe

15 Kleinkinder zwischen 10 Monate und 3 Jahren sollten nach aktuellen pädagogischen Erkenntnissen individuell betreut werden. Dabei sollten die 4 Augen der Betreuungspersonen (wenn die Assistentin/der Assistent nicht gerade mit Küchen- oder Reinigungsarbeiten beschäftigt ist) 15 Kinder im Blick haben. 15 Kinder heißt 15 Bedürfnisse stillen:

1. Kind von den Eltern entgegennehmen

2. Geborgenheit schenken

3. Trösten

4. auf Erzählungen/Impulse eingehen

5. Nase putzen

6. Windel wechseln

7. beim Hände waschen unterstützen

8. Spielpartner/in sein

9. Buch vorlesen

10. Warum-Fragen beantworten (endlos)

11. Füttern/Essen anrichten

12. Konfliktsituationen begleiten

13. Umziehen

14. beim Puzzlebauen helfen

15. den Umgang mit einer Schere zeigen.

Nur ein Beispiel, denn Bedürfnisse sind nicht nur individuell und ändern sich schnell, sie treten in der Regel pro Kind in Mehrzahl auf. Soll heißen: Ein Kind, welches eine frische Windel braucht, möchte auch gekuschelt werden und ein Buch vorgelesen bekommen. Dies stellt man sich in Gedanken einfacher vor als es ist, denn wie soll man in Ruhe ein Buch betrachten, während man alle Kinder im Auge haben soll und Kleinkinder einen hohen Grad an Lautstärke beweisen? Ja, nicht so easy. Mehrmals aufstehen muss man dabei auch, weil währenddessen zwei Kinder in eine Konfliktsituation geraten sind, ein weiteres Kind über seine eigenen Füße stolpert und ein anderes Kind den UHU-Stick gerne als Lippenstift verwenden möchte.

Bedürfnisse sind nicht nur individuell und ändern sich schnell, sie treten in der Regel pro Kind in Mehrzahl auf.

Und jetzt bitte nicht mit der Idee kommen: Das Buch im Morgenkreis allen Kindern gleichzeitig vorzulesen. Ich bin dagegen! Nicht nur, dass individuelle Gespräche mit einzelnen Kindern zu kurz kommen, nein, auch dass die Konzentrationsfähigkeit und die Ausdauer von U3 (Terminus: Unter 3-Jährige) gewaltig auseinandergehen.

Frau tröstet Kind

Dazu kommen dann die Elternbildungspartnerschaft (Tür- und Angelgespräche, Eltern Sorgen nehmen, Entwicklungsgespräche, Zusammenarbeit …), Dokumentationsarbeit (Entwicklungsbögen, Reflexionen, Planungen, Beobachtungen, Wochenrückblicke, Portfolio …), Corona-Schutzmaßnahmen (welche sich ständig ändern und weitere Dokumentationsarbeit beinhalten) und Planen/Setzen von Bildungsangeboten (welche bestenfalls alle Bildungsbereiche abdecken). Glatt hätte ich die Selbstfürsorge vergessen – unheimlich wichtig in diesem Job (und allen anderen wohlbemerkt). Das heißt, zwischen mindestens 15 Bedürfnissen von Kindern sollte man seinen eigenen Bedürfnissen nachkommen (Toilettenbesuch, Trinken, Essen, Durchatmen).

Zugegeben ist das Praxisbeispiel nicht täglich Brot, aber definitiv nicht realitätsfern. Natürlich gibt es ruhigere Tage. Beispielsweise wenn nicht alle Kinder anwesend sind, die Kinder weniger Aufmerksamkeit von den Betreuungspersonen brauchen oder mehr Personal zur Verfügung steht. Genauso gibt es Tage, die weitaus anstrengender sind: Personalmangel, Eingewöhnungen und Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten. „Ruhigere Tage“ sollten nicht der Ausgangspunkt für einen Betreuungsschlüssel sein.

Warum ich trotz all dem bleibe

Die Ausbildung mit Diplom war kein Honigschlecken und nicht alle Praktika im Kindergarten waren bestärkend als angehende Pädagogin. Somit wurde mein ehemaliger Berufswunsch zu Plan B und dieser wiederrum durch die Pandemie zu Plan A (Ursprünglich war ein Auslandsjahr geplant gewesen). Nun arbeite ich seit eineinhalb Jahren im Kindergarten und habe vor dies auch weiterhin zu tun. Trotz miesen Betreuungsschlüssel, stressigen Tagen und zu wenig Vorbereitungszeit. Ich kenne nicht wenige Kolleg/-innen, die sich nach der Ausbildung gegen den Berufseintritt entschieden haben oder nach einem Jahr als Vollzeitpädagogin/-pädagoge kündigten oder die Stunden reduzierten, um nebenbei eine neue Ausbildung zu absolvieren.

Anders als erwartet erfüllt mich der Beruf sehr und ich bekomme viel von den Kindern zurück.

Anders als erwartet erfüllt mich der Beruf sehr und ich bekomme viel von den Kindern zurück. Kinder in ihren ersten Lebensjahren und ihre individuelle Entwicklung zu begleiten erkenne ich als wertvolle Aufgabe in meinem Leben an. Noch mehr Freude am Beruf hätte ich, wenn mehr Personal für die Gruppengröße zur Verfügung steht und die Vorbereitungszeit erhöht wird. Damit die Kinder individuellere Betreuung erhalten, Pädagoginnen/Pädagogen weniger Burn-out gefährdet sind und man das erlernte Wissen durch die Ausbildung in der Praxis besser umsetzen kann (Welches in der Realität aufgrund von Zeit- und Personalmangel oft nicht möglich ist). Und wenn ich schon beim Wünschen bin: Mehr Wertschätzung von der Gesellschaft bitte!

Mehr Wertschätzung von der Gesellschaft bitte!

Denn im Kindergarten wird nicht „nur gespielt“ – es ist die erste Bildungseinrichtung und ein wichtiger Baustein für das weitere Leben. 

Die sonnige Ausstrahlung und die herzliche Art der Kinder erwärmen nicht nur mein Herz, sondern bereichern auch mein Leben immer wieder aufs Neue und füllen mich mit neuer Energie. Von Kindern umgeben zu sein, lässt die Wichtigkeit von sozialen Beziehungen und den Blick aufs Wesentliche erkennen.

 

Dieser Gastbeitrag stammt von Nina Gusenbauer, Elementarpädagogin

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