Reisen ist mehr als Urlaub machen

Sommerzeit ist Reisezeit. Zeit für einen Tapetenwechsel und für die Suche nach dem Anderswo. Es gibt kaum einen Zeitraum, der wichtiger ist und mehr Bildung mit sich bringt.

Denn im Urlaub ist fast alles anders. Die Schritte am Boden der Ferienwohnung hören sich anders an, der Geschirrspüler ist anders zu bedienen, die Fernsehprogramme unterscheiden sich. Auch die Straßen und die Menschen sind, je nach Reiseort, weniger bis gar nicht vertraut.

Das fordert uns Eltern und Kinder dazu auf, sich anzupassen, sich zu adaptieren. Flexibilität ist gefragt, Improvisationskunst. Denn schließlich will man seinen Kindern auch im Urlaub eine feine Zeit bescheren und quasi ein sicheres Nest bauen. Doch genau dieser Prozess des „Nestbauens“ ist das, was eine Reise so lehrreich werden lässt.

Denn es gilt dieses „Nest“ nicht einfach so wie zu Hause anderswo wieder aufzubauen. Das versteht vielleicht nur derjenige, der nicht jedes Jahr am selben Ort Urlaub macht. Wer besagte Ferienwohnung schon kennt, die Umgebung nicht neu erkundet und sich nicht auf neue Sprachen und Kulturen einlässt, dessen „Nestbau“ ist eigentlich damit zu vergleichen, was man zuhause täglich tut.

Anders gesagt: Man weiß, wie es funktioniert, wann sich die Kinder wohlfühlen, welche Prozesse funktionieren müssen. Quasi: Wir der Alltag rundherum so funktioniert, dass er nicht zur Hürde wird, sondern zur Selbstverständlichkeit. Denn nur um diese Selbstverständlichkeit herum, der eine gewisse Leichtigkeit innewohnt, lässt sich auch noch Liebe und Vertrautheit in den Alltag einspeisen. Sprich: Extra-Zeit für die Kinder, kleine Aufmerksamkeiten und vieles mehr.

Im Urlaub hingegen gilt es zu improvisieren. Alles von Grund auf neu zu bauen. Wie funktionieren die Haushaltsgeräte, die Dusche, wohin geht man einkaufen, welches Restaurant ist kinderfreundlich? Wo fühlt man sich als Familie wohl und wie lässt sich der Urlaubs-Alltag, der ja eigentlich eine Auszeit von ebenjenem sein sollte, strukturieren?

Denn das theoretische Tun-Können, was man will, ist wohl nur wenig zielführend. Obwohl natürlich nichts dagegen spricht, im Urlaub länger zu schlafen und auch mal richtiges Ausschlafen einzuplanen. Doch dann gilt es wieder Struktur aufzubauen, anstatt diese zu negieren.

Gemeinsam mit seiner Familie findet man zu Wohlfühlmomenten und lässt sich auf eine Umgebung ein, die dabei immer wieder für produktive Irritationen sorgt. Womöglich versteht man nämlich bei den Fragen nach dem Weg nicht immer jedes Wort, verläuft sich auch manchmal und findet nicht das Produkt, das man gerne hätte. Doch genau diese Irritationen sind produktiv: Man sieht, dass nicht alles selbstverständlich ist und bemerkt auch, wie andere Menschen aus anderen kulturellen Kontexten ihren Alltag generieren und strukturieren.

Und genau da liegt das bildende Moment des Reisens begraben: Zu sehen, wie es „Anderswo“ funktioniert, wie sich Menschen „Anderswo“ sozusagen Nester und Wohlfühloasen bauen und wie sich in der Komplexität des Alltags zurechtfinden.

Danach kehrt man als Familie oftmals gestärkt zurück. Hat neue Eindrücke und neue Ideen mit nach Hause gebracht. Hat womöglich auch neue Ideen, wie der eigene Alltag zuhause anders aussehen könnte, beginnt zu hinterfragen oder zumindest das positiv Erlebte in ein etwas verändertes Nest wieder einfließen zu lassen. Wer reist, der verändert nämlich nicht nur temporär den Aufenthaltsort, sondern auch sich selbst. Man kommt als Anderer zurück. Bereichert, gebildet, erfrischt.

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