Wie geht eigentlich kindgerechte Sprache?

Mit Kindern zu sprechen ist eine Herausforderung. Noch dazu, wenn man ihnen komplexe Sachverhalte möglichst einfach und vermeintlich „kindgerecht“ erklären möchte. Doch wie geht das eigentlich mit der kindgerechten Sprache?

„Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“, schrieb einst der Philosoph Ludwig Wittgenstein. Dieser Satz, obwohl ursprünglich anders gemeint, trifft mich als Vater mitten ins Herz. Wenn ich mit Kindern spreche, so der Rückschluss, gebe ich ihnen auch (m)eine „Welt“ mit auf den Weg. Banalisiere und trivialisiere ich Sachverhalte und Ereignisse, trivialisiere und banalisiere ich auch ihre gegenwärtige und vor allem zukünftige Welt.

Sprache schafft Realität

Es wird nicht besser, wenn man einigen französischen Sprachtheoretikern folgt. In vielen Theorien, an die auch ein großer Teil der Gender-Theorien anschließen, schafft Sprache Realität. Indem ich benenne, schaffe ich Differenzen und Dichotomien. Eine andere Sprache erschafft auch andere Unterscheidungen, etwa zwischen In- und Ausländern. Eine sensible und differenzierte Sprache wirkt damit einem Denken in „Blöcken“ entgegen und hebt womöglich allzu einfach getroffene Unterscheidungen zwischen „Gut“ und „Böse“ auf. Die „Welt“ ist danach eine andere.

Vor diesem Hintergrund wird das Sprechen mit Kindern ein regelrechter Spießrutenlauf. Was kann ich meinem Kind zumuten? Was kann ich sagen? Was ist „kindgerechte Sprache“? Und was für Auswirkungen hat das von mir Gesagt auf sein Denken, seine Weltsicht und seine Kategorisierung von Menschen und Ereignissen? Welche Folgen hat es eigentlich, schon allein in Sachen Vertrauen, wenn ich meinem Kind bewusst Dinge verschweige?

Über das Unsagbare reden

Erst vor kurzem stand ich vor einem Dilemma. Meine Tochter, neun Jahre alt, kam nach Hause und wusste vermeintlich alles über den Holocaust. Sie habe im Dokumentar-Film tote Menschen gesehen. Bilder, die wir mittlerweile alle kennen. Mir fällt keine „Ausrede“ ein, warum ich bisher noch nie ausführlich mit ihr über dieses Thema geredet habe. Mir erschien es wenig „kindgerecht“ – und so verschob ich es auf später. Es folgt jedenfalls ein längeres Gespräch über die Gründe des Massenmordes an den Juden, über Hitler und über den damaligen Zeithorizont.

Ich tat mir schwer. War das etwas für Kinderohren? Welche Sprache benutzte ich? Wie sollte ich den damaligen „Weltenbrand“ erklären? Wie konnte ich die damalige Verfasstheit der Welt auf den Punkt bringen, die eine solche Katastrophe überhaupt erst ermöglichte? Man kann diese Fragen nicht letztgültig beantworten, aber man muss sie sich stellen.

„Übersetzen“ für Kinder

Ich glaube man kann viele Dinge umschreiben, sie förmlich übersetzen. Man nimmt Sachverhalten nicht die Komplexität, indem man versucht sie auf den Punkt zu bringen und ohne Fremdwörter zu beschreiben. Der Kern einer Sache lässt sich auch einem Kind erklären, ohne allzu starke Vereinfachungen vorzunehmen. Es geht um die Art und Weise, um die Sprache, um den Ton und um die richtige Situation für die Erklärung.

Im Alltag achte ich außerdem auf meine Sprache, etwa bei Benennungen, bei allzu klaren Unterscheidungen. Ich will Gruppen nicht pauschal Eigenschaften zuschreiben, ich möchte nicht so sehr vereinfachen, dass Zusammenhänge unwahr werden und direkt in die Vorurteils-Falle führen.

Nicht „meine Welt“ aufzwingen

Dann wiederum möchte ich meinen Kindern auch gar nicht nur „meine Welt“ und meine Weltsicht mitgeben. Sondern eher nur die Haltung zur Welt, zu den Dingen und zu den Phänomenen insgesamt. Vielleicht ist das eine gewisse Achtsamkeit, eine gewisse Grundhaltung, eine bestimmte Zurückhaltung gegenüber vermeintlichen Evidenzen.

Davon ausgehend sollen meine Kinder sich aber selbst ihre Welt erarbeiten, ihre eigenen Zugänge finden und ihre eigenen Rückschlüsse ziehen. Wer weiß, vielleicht erzählen sie mir auch bald ausführlich von „ihrer Welt“, die mich dann wiederum in meiner Weltsicht beeinflusst und es mir ermöglicht, manch andere, neue Perspektive einzunehmen?

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