Die Chance der Vielfalt im Kindergarten

Wenn Kinder unterschiedlicher Herkunft, Religion und Sozialisation ihren Alltag zusammen verbringen, liegt darin die Chance, voneinander zu lernen. Soziologin Barbara Herzog-Punzenberger über vorurteilsbewusste Kindergärten und Religionspädagoge Albert Biesinger über vielfältige religiöse Erfahrungen.

Peter spielt mit Amir, Johanna mit Ayşe, Christen mit Muslimen, deutschsprachige Kinder mit fremdsprachigen. Sie ist Realität: die Vielfalt in Kindergärten. Für die Kinder selbst ist das oft kein Problem, wie ein Zitat eines deutschen Kindes zeigt. Auf die Frage: „Sind in deinem Kindergarten viele Ausländer?“, antwortet es: „Nein, eigentlich nur Kinder.“

Barbara Herzog-Punzenberger, Soziologin und Lehrende am Institut für Pädagogik an der Universität Linz, greift die Diversität in Kindergärten in ihrem Vortrag an Elementarpädagogen im Rahmen der Fachmesse Interpädagogica am 10. November 2016 auf. Sie spricht die Sorge vor dieser Vielfalt an, die oft im Raum steht: „Ist das nicht zu weit weg, zu fremd, zu wenig österreichisch?“ Und sie stellt dazu die simple Frage in den Raum: „Wer oder was ist eigentlich österreichisch?“ Vom konservativ-katholischen Tiroler Bergbauern mit hartem Dialekt bis zur Linzer Fließbandarbeiterin mit kommuninistischer Familiengeschichte ohne Bekenntnis sei „das Österreichische“ nicht so klar festzumachen. Herzog-Punzenberger spricht von „acht Millionen unterschiedlichen Normalitäten“ in Österreich. Dazu betont sie die Herkunft aller Grundbestandteile unserer Kultur, die nicht aus Europa stammen – man denke an das Christentum, das seine Wurzeln im Nahen Osten hat oder an die Kartoffel, die aus Amerika stammt.

Kindergartenkinder haben Vorurteile

Trotz aller Normalität von Migration und vielfältigen Wurzeln kann man Vorurteile und Stereotype nicht kleinreden. Ab dem dritten Lebensjahr haben Kinder eine Vorstellung davon.

Kinder sind mit visuellen Eindrücken konfrontiert, sehen Werbeflächen oder spüren, wenn Eltern sich gegenüber bestimmten Menschen anders verhalten.

Andererseits seien Stereotype durch positive Erlebnisse nicht sofort aufgelöst, erklärt Herzog-Punzenberger, dafür brauche es längerfristigen Kontakt mit guten Erlebnissen. Der Kindergarten ist jene Institution, in der solche ermöglicht werden können.

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Christliche und muslimische Feste im Kindergarten feiern

Zur Vielfalt im Kindergarten gehört auch die Begegnung mit den unterschiedlichen Religionen. „Im Kindergarten muss es normal sein, dass muslimische Kinder christliche Rituale kennenlernen und zum Beispiel erfahren, was wir zu Weihnachten feiern oder was der Nikolaus bedeutet“, betont Theologe Albert Biesinger im Interview mit meinefamilie.at. „Da gibt es die gefährliche Entwicklung, dass die Feste ihres inneren Kernes beraubt werden. Man macht aus dem Martinusritt mit Mantelteilung, der für die Solidarität in Europa steht, eine Lampionfeier, weil man nicht mehr religiös feiern darf.“

Alle Religionen sollten ihren Platz haben dürfen, sagt Biesinger: „Wenn ich Leiter eines Kindergartens wäre, würde ich einen muslimischen Vater oder eine muslimische Mutter einladen, der oder die erklärt, wie sie zuhause Ramadan feiern. Interreligöse Verständigung entsteht durch die praktizierte Religiosität und durch die Gastfreundschaft. Die muslimischen Kinder sind zum Beispiel gastfreundlich bei der Nikolausfeier aufgenommen, die christlichen Kinder sind gastfreundlich aufgenommen zu verstehen, was Ramadan bedeutet. Das bildet ja!“

Der Pädagogin über die eigene Herkunft erzählen

Damit aufgegriffen werden kann, was zum Lebensumfeld des Kindes gehört, appelliert Barbara Herzog-Punzenberger an die Pädagogen, über den Herkunftskontext der Kinder Bescheid zu wissen. Das bedeutet auch für Eltern, Informationen über das Herkunftsland, die Muttersprache oder wichtige Rituale an den Kindergartenpädagogen weiterzugeben. Sie betont außerdem, im Alltag der Kinder anzusetzen, anstatt durch ein großes Fest im Jahr eine „Pseudogleichheit“ zu vermitteln. „Es muss darauf geachtet werden, nicht nur einmal im Jahr in die Moschee zu gehen“, betont Herzog-Punzenberger, sondern Kindern oft die „Gelegenheit zu geben, mit Menschen, die anderes repräsentieren, Interessantes zu erleben“.

Für den Theologen Albert Biesinger haben die multikulturellen Berührungen einen friedenstiftenden Sinn:

„Wenn die Kinder von klein auf, wo sich die neuronalen Netzwerke erst aufbauen, merken: ‚Die Aische isst zwar kein Schweinefleisch, sie ist aber trotzdem meine Freundin‘ oder ‚Michael ist begeistert von Weihnachten und ist trotzdem mein Freund‘, erleben sie die religiöse Vielfalt.“

„Sie kann als Bildungsherausforderung genommen werden und gleichzeitig bekommen Kinder die Chance, im Kindergarten zu überlegen, warum die einen das so und die anderen anders machen“, sagt Biesinger.

 

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Wie ich Papa die Angst vor Fremden nahm

Rafik Schami, Oli Könnecke
2015, Atlantis Verlag
ISBN: 978-3-7152-0701-8

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