Wenn die Trauer Jahr für Jahr wiederkommt
Vor drei Jahren ist ein Mann 70-jährig verstorben: Er war für uns Papa, Opa und Schwiegervater. So sicher wie sein Todestag kommt Trauer wieder.
Der Tod kam damals unerwartet. Gewissermaßen über Nacht.
Wir als Familie waren nicht darauf vorbereitet. Die Nachricht von meiner Mutter erreichte uns am ersten Tag unseres Urlaubs. Wir brachen sofort auf, nahmen eine weite Reise auf uns und fuhren heim.
Das war gut und schlecht zugleich.
Schlecht, weil wir unvorbereitet waren und quasi in einem Schockzustand Sack und Pack packen mussten, gut weil wir so bei der langen Autofahrt Zeit hatten, ganz ohne Einflüsse aus Umfeld und Alltag über das so einschneidende Erlebnis reden zu können.
„Opa“ war eine ruhige Person. Er war nicht sonderlich gesprächig. Er war zurückhaltend, konnte seine Gefühle nicht immer gut ausdrücken. Doch er war herzlich. In seiner stillen und unaufgeregten Art ein Vorbild und prägend. Für mich, für unsere Kinder.
Dabei ist vor allem eines erstaunlich: Dass gerade dieser ruhige Mensch, der nie wirklich bestimmt oder gar egozentriert Raum einnahm so ein großes Loch hinterließ. Oft war er nämlich einfach nur da, ohne dass sich seine Präsenz aufgedrängt hätte. Manchmal übersah man ihn fast. Nahm ihn für selbstverständlich. Doch plötzlich war er weg.
Unsere Kinder trauerten auf ihre eigene Weise.
Spannenderweise so, wie mein Vater gelebt hatte: Still, bescheiden, ohne zu viel Aufsehen um seine Person zu machen. Sie trauerten still, mit einigen kleinen Ausbrüchen. Es war keine laute Trauer, es gab nicht unzählige Tränen. Womöglich auch deshalb, weil er durch seine Art in ihren Leben nicht allzu präsent war. Er war da. Er war der Opa. Aber er hat nicht wirklich proaktiv an ihren Leben teilgenommen.
Oft habe ich ihm diese Art negativ angerechnet. Oft hätte ich mir mehr Engagement, mehr bewusst initiierte Teilnahme und sichtbares Interesse an uns als Familie gewünscht. Heute ist es anders. Heute verstehe ich, begreife ich. Es war nicht in seiner Art, in seinem Wesen angelegt.
Es war kein Desinteresse. Es war seine Art, uns so sein zu lassen, wie wir sind.
Dennoch waren da oft Ratschläge. Unaufdringlich, fein, ohne Besserwisserei. Es waren Worte, die sich nicht aufdrängten. Sie sickerten still und oft erst viel später erzielten sie ihre Wirkung. Heute fehlen sie, sind aber immer noch präsent. Einiges lohnt sich auszukosten, einiges erschließt sich erst heute oder vielleicht gar erst in Zukunft.
Wenn die Tage kürzer werden und Allerheiligen naht, dann denken wir gemeinsam viel über ihn nach. Zünden das eine oder andere Kerzerl in einer Kirche an. Reden über ihn. Versuchen, sein stilles Vermächtnis zugleich zu erörtern, zu ergründen und auch hochzuhalten. Nicht immer gelingt uns das.
Oftmals ist – zumal bei mir – die an diesen Tagen aufkeimende Trauer noch immer zu groß, zu frisch, als dass es einen objektiven, klaren Blick auf ihn geben könnte.
Ich neige zum Verklären, zum Schönreden, zum Entschuldigen.
Nicht alles war gut, was er gemacht hat. Auch einige weniger schöne Erinnerungen kommen mir in den Sinn. Er war kein perfekter Mensch, hatte auch die einen oder anderen Dämonen, die er nur unzureichend bekämpfte. Doch wie gesagt: Er war herzlich, hatte ein gutes Herz.
Dass er so früh und vor allem so plötzlich gehen musste, passt in gewisser Weise zu ihm. Vor allem, dass es plötzlich passierte. Er hätte nicht lange leide wollen, keine lange Krankheit durchleben. Denn dann hätte ihm nicht entsprochen. Es wäre zu viel des Aufhebens um seine Person gemacht worden. Dass da auch ein gewisser Egoismus mitklingt, liegt auf der Hand. Er dachte zu Teil, und das ist der Kippmoment, dass er anderen Leuten nicht wichtig genug war. Anderen Leute, die gerne länger Abschied genommen hätten. So starb er, wie er lebte: Bescheiden, ohne großes Aufsehen.
