Warum man (nicht) Angst vor Internetsucht bei den Kindern haben sollte

Bevor es den Buchdruck gab, hat man sich mehr gemerkt. Bevor es Fernsehen gab, wurde mehr gelesen. Bevor es das Internet gab, schaute man „linear“ Fernsehen.

Diese Aufzählung ist eine Kurzfassung der Mediengeschichte. Die Vorwürfe an die nachfolgende Generation sind (fast) so alt wie die Menschheit. So bemängelten man schon, dass Menschen zur Vergesslichkeit neigen, weil sie jetzt eben die Möglichkeit hätten etwas abzudrucken. Erinnerungstechniken, Mnemo-Techniken, gerieten in Vergessenheit.

Heute sind aber abermals mittendrin in einem „Medienwechsel“, in einem radikalen Umbruch. Wir als Erwachsene neigen dazu, auf die Jugendlichen ein wenig argwöhnisch zu blicken und dem allzu exzessiven Gebrauch von Social Media zu verteufeln.

Mit Vorteilen sind wir schnell zur Hand. Sie erinnern frappant an die früheren Argumente:

Die Jugend von Heute merkt sich weniger, kann nicht bei der Sache bleiben, ist stets schon beim nächsten kurzen Videoclip.

Ganz so, als wären ständig, um beim Online-Bild zu bleiben, ständig mindesten 20 Browser-Fenster zeitgleich offen und in Aktion.

Nun ist es ein Faktum, dass Medien die Wahrnehmung beeinflussen.

Doch ist es automatisch ein „Kulturverfall“, wenn ein neues Leitmedium und damit verbundene Apps das Kommando übernehmen und das vorangegangene Leitmedium mehr und mehr ablösen?

Ich denke nicht. Denn mit dem „Verfall“ von alten Fertigkeiten gehen stets auch neue Kompetenzen einher. Junge Menschen denken vernetzten, können schneller Verbindungen herstellen, sind wohl insgesamt wendiger im Denken. Dass diese „Wendigkeit“ auch mit einer gewissen Oberflächlichkeit und Hastigkeit einhergeht, ist in der Natur der Sache.

Wir können voneinander lernen

Wir – Erwachsene und Jugendliche – können also im Endeffekt voneinander lernen. Man kann ich gegenseitig beobachten, die jeweils anderen Verhaltensweisen anschauen und gegebenenfalls auch mal ausprobieren. Was spricht etwa dagegen, dass man selbst sich auch mal in die schnelle und sehr bunte Welt von Tik-Tok begibt und sich dabei selbst beobachtet, wie die eigenen Nervenzellen bis zum äußerten getriggert werden? Was spricht wiederum für den Nachwuchs dagegen, auch mal ein Buch in die Hand zu nehmen oder – ganz langweilig – ein Buch in die Hand zu nehmen und sich richtig in einem Thema zu vertiefen?

Dann auch das sollte man im Auge behalten, Medienwechsel und Paradigmenwechsel hin oder her: Es gibt nicht nur den einen Fortschritt, die eine Klimax, das Eine Streben. Auch Bücher überleben nach wie vor und auch das „lineare“ Fernsehen ist noch längst nicht tot, wenngleich auch transformiert und weitestgehend digitalisiert.

Gemeinsam kann man die jeweiligen Möglichkeiten lustvoll erkunden. Man kann miteinander ins Gespräch kommen. Und man kann vor allem, als Erwachsener, eines stecken lassen: Den stinklangweiligen Kultur-Pessimismus mit dem Unterton, dass früher alles besser gewesen sei.

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