Buchrezension „Digitale Medien und Neue Autorität“: Ein Balanceakt für Eltern.

Das Buch „Digitale Medien und Neue Autorität“ von Martin A. Fellacher schafft es knapp und gut verständlich Beratern und auch Erziehungsberechtigten einen Weg aufzuzeigen, wie sie Kinder und Jugendliche in der virtuellen Welt und im Umgang mit elektronischen Medien begleiten und vor Gefahren im Internet schützen können. 

Zu Beginn des Buches beschreibt der Autor die Bedeutung der digitalen Revolution für den Erziehungskontext. Smartphones sind allgegenwärtig – fast jeder Erwachsene hat eines und stets griffbereit, Kinder bekommen immer früher ein eigenes Handy und sind damit einer nicht greifbaren Welt ausgesetzt.
Die Gefahren von Cybermobbing, die Auswirkungen permanenter Erreichbarkeit und ständiger Gegenwart von elektronischen Medien (Schlafmangel, Konzentrationsschwierigkeiten), die Konfrontation mit nicht altersgerechten Inhalten (z.B. Gewaltszenen, Pornografie) und die Möglichkeit sich in Video- und Handyspielen zu verlieren, ist groß.

Es ist gut, die Zusammenhänge einer virtuellen Welt vor Augen geführt zu bekommen, um Verhaltensmuster und Beweggründe für intensive Smartphone-Nutzung (z.B. FOMO -„Fear of Missing out“) besser nachvollziehen zu können.

3-Stufenmodell zum Umgang mit der virtuellen Welt

Auf Basis der „Wachsamen Sorge“ (nach Haim Omer 2015, zit. Fellacher S. 37) – ein Modell in dem Eltern ihre Präsenz im Leben der Kinder auf das notwenige Maß hin überprüfen (und ihr Handeln davon abhängig machen) – stellt der Autor drei Stufen vor:

  1. Offene Aufmerksamkeit
  2. Fokussierte Aufmerksamkeit
  3. Schutz und Intervention

1. Stufe: Offene Aufmerksamkeit

Eltern zeigen Interesse an Ereignissen im Leben der Kinder und nehmen daran Teil. Im „virtuellen Raum“ fällt das oft schwerer als im echten Leben. Der Autor rät dazu, auch wenn wenig Interesse an sozialen Medien und wenig Wissen über Computerspiele vorhanden ist, sich von den Kindern auf eine „virtuelle Tour“ mitnehmen zu lassen. Die gemeinsame Zeit vertieft die Bindung zwischen Kindern und Eltern und diese bekommen mit, was ihre Kinder beschäftigt.

Eltern sollen mit auf eine virtuelle Reise gehen. So zeigen sie sich offen für das Interesse des Kindes.

Weiters rät der Autor bereits vor der Anschaffung des Smartphones zu  überlegen, wie damit umzugehen ist. Im Buch gibt es dazu einen Brief, den Eltern exemplarisch an ihre Tochter schreiben, in dem sie zum Ausdruck bringen, was ihnen bei der Nutzung des (neuen) Smartphones wichtig ist und einige Regeln festlegen (Seite 39/40): Klare Vereinbarungen definieren, die auch überprüfbar sind und  gleichzeitig dem Kind signalisieren, dass es nicht alleine gelassen wird.

Klare Vereinbarungen für die Handynutzung vereinbaren.

2. Stufe: Fokussierte Aufmerksamkeit

Wenn Erziehungsverantwortliche nun wahrnehmen, dass etwas nicht gut läuft (z.B. Nachlassen der Schulleistung, Verheimlichen von Aktivitäten oder ein „komisches Gefühl“ von Seiten der Eltern) dann sollten sie zur zweiten Stufe, zur fokussierten Aufmerksamkeit wechseln. Wichtig: Den Wechsel auf die nächste Stufe für Jugendliche transparent machen. 

Eltern sollten noch aufmerksamer sein. Stufe 1 intensivieren.

Was tut man konkret: Mehr von dem was man in Stufe eins tut. Aufmerksamer sein, Präsenz zeigen, Beziehung herstellen und Alternativen zu digitalen Medien anbieten. Martin A Fellacher nennt Beispiele aus seiner Beratungstätigkeit, um zu verdeutlichen, wie Eltern es schaffen können, wieder vermehrt in Kontakt mit den Jugendlichen zu treten und die Mediennutzung einzuschränken, ohne dass ständig eine Diskussion über Schaden und Nutzen Social Media, Internet und Gaming entsteht.   

In der Beratung geht es vor allem darum, dass Eltern Interessen und Eigenschaften der Kinder und Jugendlichen benennen und aufschreiben, was oft schon ausreicht etwas zu verändern, weil das Kind losgelöst von der (konfliktbehafteten) Mediennutzung wahrgenommen werden kann.

Digitale Medien bieten Räume für Rückzug und helfen Jugendlichen bei der Schamregulierung, Erwachsene müssen dies anerkennen. 

Eltern dürfen Wünsche an ihre Kinder/Jugendliche formulieren und oft gelingt es durch Priorisierung – was ist den Eltern wichtig, welches Verhalten des Kindes ist zwar nervig, aber nicht gefährdend -  bereits eine Verhaltensveränderung bei den Jugendlichen anzustoßen. Digitale Medien bieten Räume für Rückzug und helfen Jugendlichen bei der Schamregulierung, Erwachsene müssen dies anerkennen und versuchen bei dieser Schamregulation behilflich zu sein, indem sie in einen konstruktiven Dialog treten und ihre Kinder unterstützen.

Bub schaut in den Fernseher

3. Stufe: Schutz und Intervention

Vor dem Schritt zur 3. Stufe steht die Frage: Schädigt mein Kind durch sein Verhalten sich selbst und andere? Nehmen schulische Leistungen eklatant ab, können Jugendliche keinen Abstand mehr zu digitalen Medien aufbauen etc. Dann ist es für Eltern notwendig (einseitige) Maßnahmen zu ergreifen, was oft schwer fällt, weil strenge Grenzen gesetzt werden müssen. Dabei muss abgewägt werden zwischen der Gefahr, wenn das Verhalten weiter existiert und den Auswirkungen, die durch die Intervention entstehen können.

Wichtig bleibt das Bemühen der Eltern eine gute Beziehung zu den Kindern/Jugendlichen aufrecht zu erhalten, das müssen die Erziehungsverantwortlichen auch deutlich machen.
 

Eltern sollen das Problem klar beschreiben, sich eindeutig positionieren und dann transparent Maßnahmen setzen.

Eltern sollen das Problem klar beschreiben, sich eindeutig positionieren und dann transparent Maßnahmen setzen (z.B. Internetverbindung nach 20.00 Uhr abdrehen). Dabei darf keine Dämonisierung des Smartphones erfolgen, kein Verdammen von Gaming, vielmehr Unterstützung anbieten und Interesse an Online-Inhalten (und dem Verhalten des Kindes) bekunden. Wichtig und schwierig in dieser Phase: Beharrliches Dranbleiben nach dem Entschluss der Eltern etwas verändern zu wollen.

Am Ende des Buches verweist der Autor darauf,  dass die technische Entwicklung stets voranschreitet und ständig neue Apps oder Spiele entwickelt werden. „Up to date“ zu sein fällt da schwer, ist auch nicht unbedingt notwendig - die Empfehlung ist vielmehr, den Expertenstatus der Jugend im Umgang mit digitalen Medien anzuerkennen und sich von den Kindern und Jugendlichen einweisen zu lassen.

Fazit

Das Buch ist wissenschaftlich fundiert und kurzweilig.  Die Fallbeispiele aus der Beratungstätigkeit schaffen einen guten Einblick und erleichtern das Lesen.
Das Stufenmodell auf Basis der „wachsamen Sorge“ gibt Eltern ein Werkzeug in die Hand, um eine gute Balance zwischen Vertrauen, Kontrolle und notwendigem Handeln zu finden. Es geht vor alle darum,  Präsenz und Interesse zu zeigen, um die Beziehung zu stärken und die Kommunikation aufrecht zu erhalten. Ich finde, das ist nicht nur im Umgang mit digitalen Medien, sondern im Familienleben allgemein ein wichtiges Verhalten.

Womit ich mir etwas schwer getan habe, war zu beurteilen, ab wann das Verhalten eines Kindes oder Jugendlichen als  schädlich eingestuft werden kann. Was ist noch ‚normal‘, was ist gefährdendes Verhalten?Darauf geht das Buch zwar ein, dennoch bleibt meiner Meinung nach eine Grauzone.

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