Kinder und Medien: Wie viel ist „zu viel“?

Wie viel Medienzeit ist angemessen für mein Kind? Und wie viel ist zu viel? Um sich dieser Fragen zu nähern, gibt es allgemeine Empfehlungen von Expert*innen für Bildschirm- bzw. digitale Medien-Zeiten, die sich am Alter der Kinder orientieren.

Diese Empfehlungen machen grundsätzlich durchaus Sinn, denn sie geben uns Eltern einen ungefähren Richtwert, an dem wir uns orientieren können. So sollten Kinder zwischen 2 und 3 Jahren nur für maximal 5-10 Minuten am Tag Medien, wie in etwa kurze Videoclips, konsumieren – stets in unserem Beisein und nicht unbedingt täglich.

Kinder zwischen 3 und 6 Jahren sollten pro Tag maximal 30-45 Minuten - im Idealfall weiterhin in eurem Beisein - digitale Medien mit altersgerechten Inhalten nutzen, wie in etwa (Lern-)spiele oder altersadäquate Kinderserien mit entsprechenden kürzeren Folgen. Zu der empfohlenen Begleitung ist anzumerken: bei neuen Inhalten empfiehlt sich die Begleitung durch eine Bezugsperson in jedem Fall. Nur so können wir einschätzen, ob die neuen Inhalte bereits für unser Kind geeignet sind und wie unser Kind auf sie reagiert.

Ich erinnere mich noch gut daran, dass ich als Kind mit der Szene, in der Bambis Mutter erschossen wird, stark überfordert war und noch jahrelang an dieser Stelle vorsorglich das Wohnzimmer verlassen habe, um sie nicht sehen zu müssen. Nur wenn wir in solchen Momenten dabei sind, können wir unser Kind trösten und das Gesehene für unser Kind einordnen.

Wenn aber dieselbe Folge zum x-ten Mal geschaut wird und für das Kind keine große Sache mehr darstellt, dürfen Eltern ihre „gewonnene“ Zeit - mit guten Gewissen – auch gerne für sich selbst oder für ihre To-Do’s nutzen, wenn sie dennoch in der Nähe bleiben.

Kinder zwischen 6 und 10 Jahren sollten dann maximal 60 Minuten am Tag vor Bildschirmen (Tablet, Handy, Fernseher, Computer) verbringen - nicht mehr unbedingt begleitet, aber in stetigem Kontakt mit euch. Das heißt, dass ihr die Inhalte der Serien, die sie schauen, oder der Spiele, die sie spielen, gemeinsam besprecht und darüber in Kontakt und im Austausch bleibt. Kinder zwischen 10 und 12 Jahren sollten maximal 90 Minuten am Bildschirm verbringen – hier ist durchaus bereits ein Wochen- statt einem Tageskontingent sinnvoll. 90 Minuten am Tag entsprechen einem Wochenkontingent von etwa 10-11 Stunden, über die sie frei verfügen können.

Auch hier ist der Austausch zwischen euch und euren Kindern wichtig, um im Gespräch und informiert zu bleiben, nicht im Sinne von Kontrolle, sondern im Sinne von Interesse aneinander: Welche Spiele spielen eure Kinder, was gefällt ihnen daran, was macht es spannend, mit wem spielen sie?

Jugendliche ab 12 Jahren können durchaus über ein Wochenkontingent von ca. 20 Stunden verfügen. Das entspricht ca. 3 Stunden am Tag, wobei unter „Bildschirmzeit“ eben auch Handyzeiten fallen, wodurch die 3 Stunden aus meiner – und meist auch aus ihrer – Sicht nicht mehr sehr viel erscheinen. Daher würde ich hier auch stets Zeiten, in denen am Computer für die Schule gearbeitet oder recherchiert wird, ausklammern.

Ab 12 Jahren dürfen und sollten wir unsere Kids ohnehin hin zu einer eigenverantwortlichen Nutzung begleiten. Kontrolle und Einschränkungen machen in der Pubertät wenig Sinn, und versperren den Blick auf das Wesentliche, nämlich den Austausch und den Dialog. Dazu später mehr. Der Vorteil dieser allgemeinen Empfehlungen: sie geben eine Orientierung, einen Rahmen und damit eine gewisse Sicherheit.

Der Nachteil, vor allem wenn sie zu strikt oder zu endgültig gesehen werden: So lösen in uns oftmals Druck aus, für die Einhaltung der doch manchmal recht engen Zeiten zu sorgen, sowie schlechtes Gewissen, wenn uns genau dies nicht gelingt.

Jedes Kind ist anders, jedes Kind reagiert anders auf Medien an sich, sowie auf deren Inhalte.

Neben der reinen Bildschirmzeit gibt es daher so viele andere Faktoren, die ausschlaggebend dafür sind, wann etwas „zu viel“ für unser Kind wird: Wie reagiert es - in seiner heutigen Tagesverfassung - auf das Gesehene, zum Beispiel nach einem anstrengenden Kindergarten- oder Schultag? Wie viele soziale Kontakte, Hobbys und Interessen hat mein Kind in der „realen“ Welt? Wie sieht sein restlicher Tag aus? Wie viel Zeit verbringt es mit Freunden, in Bewegung, mit seinen Hobbys, mit uns, beim Spielen oder draußen an der frischen Luft? Welche Inhalte sieht es sich am Tablet oder im Fernsehen an?

Beobachtet eurer Kind bei der Mediennutzung und bietet ihm Pausen oder Alternativen an, wenn es ihm zu viel wird.

Alternativen anbieten

Fördert hier auch die Selbsteinschätzung und die Eigenverantwortung, weist euer Kind also darauf hin. Bietet Alternativen an (gemeinsame Spielenachmittage) oder macht vorhandene Alternativen sichtbar (die Lego-Ritterburg vor der Nase statt eingestaubt im hintersten Winkel des Schranks wirkt oft Wunder). Erklärt eventuelle Einschränkungen beziehungsweise eure Sorgen, damit sie an euren Gedankengängen für sich lernen können.

Und achtet vor allem auf die Motive hinter der Mediennutzung: Was „holt“ sich euer Kind durch die Medienzeit, vor allem auch beim Computerspielen? Entspannung bzw. Spannung, Freude, Spaß, Zerstreuung, Wissen oder etwa Anerkennung und Zuspruch, den es sonst vielleicht zu wenig bekommt? Viel wichtiger als die reine Nutzungsdauer sind somit die Motive und die Verhältnismäßigkeit der Mediennutzung.

Wann ist es zuviel?

„Wann ist es zu viel?" ist also niemals nur eine Frage von Stunden - sondern vielmehr davon, ob euer Kind abseits von Medien Hobbys, Freunde und Spaß hat und mit wie viel Beziehungs- und Verbindungszeit euer restlicher Tag geprägt ist. Denn die empfohlenen Medienzeiten suggerieren manchmal eine trügerische Sicherheit: als könnte ich eine Medien- oder Spielsucht alleine dadurch verhindern, dass ich auf einseitige zeitliche Beschränkungen und Verbote bestehe.

Dabei sind in etwa die Förderung der Medienkompetenz, der psychischen Gesundheit und Resilienz und die Gestaltung eines ansprechenden Lebens außerhalb der virtuellen Welt viel wichtigere Präventivfaktoren.

Genau hier wird es tricky, denn gerade zu feste Regeln und Verbote, weil wir Eltern doch „alles richtig machen wollen“ erzeugen oft Streit und Konflikt in der Familie, vor allem, wenn unsere Kinder älter und autonomer werden, selber entscheide wollen.

Alles, was beschränkt und rar ist, wirkt in der Regel noch anziehender und begehrenswerter auf uns.

Und unter all dem Stress, dem Konflikt und dem Druck geht  letztlich oft genau jener gemeinsame Austausch und Dialog verloren, der so wichtig wäre – gerade auch im Sinne der Suchtprävention und der Förderung eines gesunden, glücklichen Lebens.

Online-Workshop "Medienkompetenz stärken"

Wie ihr die Medienkompetenz eurer Kinder stärken könnt und welche Alternativen es zu Verboten und Regeln gibt, erfahrt ihr in meinem Online-Workshop im Rahmen der #Elternimpulse: „Medienkompetenz stärken“ am 17. Oktober 2022 wahlweise von 9.30 – 11.30 Uhr oder 19.30 – 21.30 Uhr (20€ pro Bildschirm).

Anmeldung unter: anmeldung@bildungswerk.at

Alle Infos zum Webinar findet ihr hier: https://beziehungsvoll.at/medienkompetenz-staerken

 Ich freu mich auf euch und eure Fragen!

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Ein Artikel von

Portraitfoto Barbara Grütze

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