Bücher vs. Tik-Tok – gemeinsames Lesen als Herausforderung

Es scheint, dass gegenwärtig das Zeitalter des Lesens gerade in die Zeitalter der Kurzclips übergeht. Als Elternteil gilt es das zu beobachten und mit seinem Nachwuchs kritisch zu diskutieren.

Früher war sie ein Bücherwurm. Hat Buch für Buch regelrecht verschlungen. Dann kam das Smartphone und damit im Laufe der Zeit Snapchat, Instagram oder ähnliches. Von da an waren Bücher „uncool“, langweilig und in gewisser Weise mit Arbeit verbunden.

Die Kurzclips von den Social-Media-Plattformen waren einfacher zu rezipieren. Zwischendurch. Ganz ohne große Anstrengung. Ohne, dass man sich wieder in die Welt des Buches einlesen musste. Die Anschlussfähigkeit war schneller da und simpler zu haben.

Simple Unterhaltung

Das genau ist aber auch Kern der Sache. Beides ist Unterhaltung. Aber ein Buch ist generell oder zumindest der Tendenz nach schwerer zu haben und schwerer zu fassen. Man muss darin investieren, seinen Kopf darauf konzentrieren, Zerstreuung von außen möglichst abschalten. Die Online-Plattformen sind hingegen per se Zerstreuung pur. Sie sind überall verfügbar und auch so aufgebaut, dass Ablenkungen nebenbei nicht wirklich störend sind.

Ein Buch fordert also Fokussierung, ein Kurz-Clip nicht. Dieses Wesen der Zerstreuung führt aber wieder zur Zerstreuung der Fokussierung. Schleichend ändert sich dadurch die Betrachtungsweise selbst. Alles, was nicht zerstreut und nebenbei genossen werden kann, bekommt den Anstrich anstrengend zu sein. 

Lese-Vorbild sein

Das zumindest in eine meiner Erklärungen, warum unsere Große (12) immer weniger liest und immer mehr Zeit auf Online-Plattformen verbringt. Natürlich schränken wir diese Zeit ein und natürlich haben wir einen Blick darauf, was genau sie dort macht. Es ändert aber nichts daran, dass sich ihr Medien-Konsum, und auch Bücher sind Medien im Sinne davon, dass sie Inhalte vermitteln, grundlegend verändert hat.

Tochter zeigt Vater etwas am Handy

Doch es gibt auch gegenteilige Tendenzen. Erst kürzlich haben wir wieder miteinander gelesen. Der Lehrer unserer Tochter (12) gab ihr den Auftrag, ein Buch zu lesen, das er geeignet hielt, um Mädchen und Jungs in diesem Alter gleichermaßen anzusprechen. Doch die Sprache erschien ihr seltsam fremd, seltsam unzugänglich, einige Wörter und Begriffe sogar unverständlich. Zum ersten Mal seit Monaten ist sie mit ihren Fragen in dieser Hinsicht wieder zu mir gekommen. Hat mich nach Begriffen gefragt, die ich ihr bestmöglich erklärt habe.

Damit ist mir auch wieder verstärkt bewusst geworden, was richtiges Lesen eigentlich bedeutet: Es ist der Einstieg in eine Welt über die Brücke und mit der Hilfe von Wörtern und Begriffen. Viele Brücken muss man erst erkennen und in ihrer Gesamtheit begreifen, um sich dann wie selbstverständlich in der Welt der Literatur bewegen zu können. 

Es gilt also den Kindern und den Jugendlichen bewusst zu machen, dass sich dieser Aufwand mehr als nur lohnt. Dass oft, je größer die Hürde ist, desto größer auch die Belohnung und die Freude ist. Notfalls muss man sich eben gemeinsam auf die Suche nach dieser Belohnung machen und die Brücke gemeinsam erkennen oder gegebenenfalls überhaupt erst errichten.

Social Media nicht verteufeln

Das heißt aber nicht, dass man Tik-Tok und Konsorten verteufeln sollte. Auch hier ist es möglich, dass man sich gemeinsam einen anderen, tieferen Zugang erarbeitet und die schönen Oberflächen praktisch „liest“. Kulturelles Wissen, Musikgeschichte, Popkultur & Co. sind gute Werkzeuge, um hier Kontexte zu erklären und sich das gewissermaßen zu „erarbeiten“.

Kurzum: Die gemeinsame Betrachtung von Kunstwerken, Clips oder ähnlichem lohnt sich fast immer. Es gibt immer etwas zu entdecken und zu „lesen“, auch wenn das Buch im besten Fall ein Ideal bleiben sollte. Es gibt kaum komplexere und zugleich schönere Welten, als in diesen verborgen sind.

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