Erziehen ohne Schimpfen – ist das möglich?

Das gleichnamige Buch verspricht einen Perspektivenwechsel. Die vierfache Mutter Maria Lang hat Nicola Schmidts Buch „Erziehen ohne Schimpfen“ gelesen und nimmt viele kreative Ideen mit, vor allem rund ums Stressmanagement für Mamas.

Es ist nicht nur die gesamte Aufmachung des Buches mit rotem Signalrahmen, die meine Aufmerksamkeit erregt hat. Der Titel an sich lässt mich kurz innehalten. „ERZIEHEN ohne SCHIMPFEN“ – „Nein, echt?“, denke ich, vierfache Mutter und Schimpf-Profi seit fast zwei Jahrzehnten. „Ist das wirklich möglich?“ Die Cover-Mama mit ihrem kleinen Sohn auf dem Rücken, beide mit roten Zipfelmützen, scheinen sich blendend zu verstehen. Ein Märchen? Beim etwas kleiner gedruckten Untertitel muss ich schmunzeln: „Alltagsstrategien für eine artgerechte Erziehung“. Aha. Also hab ich wohl bisher nicht artgerecht erzogen, wenn ich geschimpft habe? Sofort merke ich, wie sich das schlechte Gewissen bei mir meldet, gleichzeitig aber auch eine innere Stimme, die sagt: Na, und was soll man bitteschön stattdessen machen? Kinder brauchen doch auch Grenzen!

Erziehen ohne Schimpfen – darum geht’s

Weitere Punkte im Umschlagtext machen mich wirklich neugierig:

In diesem Buch erfahren Sie …

  • warum Eltern manchmal auf 180 sind, obwohl sie lieber besonnen reagieren würden
  • welchen biologischen Sinn solche Reaktionen haben – und wie Sie sie beeinflussen können
  • was im Gehirn der Kinder passiert, wenn sie geschimpft, angemeckert und bestraft werden.
  • welche anderen Möglichkeiten es gibt, die sich positiv auf das Familienleben auswirken
  • etc.

 

Eine neue Perspektive

Nicola Schmidt, zweifache Mutter und Wissenschaftsjournalistin, lädt zu einem Perspektivenwechsel ein. Sie behauptet, wir Eltern können gleichzeitig klare Ansagen machen UND liebevoll mit den Kindern bleiben. Und dabei auch noch mit uns selbst.

Die Autorin meint im Vorwort:

In diesem Buch werden wir uns selbst genauso fürsorglich behandeln wie unsere Kinder. Wir werden uns nicht einfach nur „zusammenreißen“. Wir wollen lieber freundlich zu uns sein und unsere Ziele mit Sanftmut und Achtsamkeit erreichen. Mit Verstehen. Mit Intellekt und Herz. Schritt für Schritt.

Weniger Erziehung, mehr Stressmanagement

Gleich zu Beginn gibt’s einen Test zur Standortbestimmung mit dem Ausblick: Wo will ich hin?, gefolgt von einem Kapitel über die neurologischen Prozesse im Hirn im Zusammenhang mit Stress etc. Auch in den folgenden Kapiteln ist Stress immer wieder ein zentrales Thema. Es geht also gar nicht in erster Linie um „Erziehung“, sondern eher um Lebensstil und Stressmanagement, um Entlastung im Alltag. Wenn wir Eltern lernen, mit innerem und äußerem Druck besser umzugehen, werden wir auch genießbarer und meckern weniger. Klingt einfach, ist es nicht immer, aber wert, es zu versuchen.

Spielend Konflikte lösen

Das Kapitel „Spielen statt streiten“ hat es mir besonders angetan. Die Autorin gibt herrliche Tipps, wie man Konfliktsituationen mit Humor entschärfen kann, wie z.B. genau das, was man möchte, gezielt zu verbieten und sich dann theatralisch aufzuregen, wenn es die Kinder doch tun. Allerdings braucht man dafür zumindest eine halbwegs entspannte Verfassung und Zeit.

Für Momente, wo der Stress wieder mal regiert, gibt es eine Empfehlung: „Legen Sie sich ein Standardrepertoire an Familienspielen zu, die Sie jederzeit abrufen können. Dann greifen Sie einfach in die Spielekiste, wenn Sie eine Konfliktsituation spielerisch auffangen wollen.“ (S. 123)

Man kann auch Kindern durch Selbsterfahrung Dinge klar machen. Nicola Schmidt ließ ihre Kinder z.B. einen ganzen Tag lang nur Süßigkeiten essen, bis sie davon endgültig genug hatten und nach „normalem“ Essen bettelten.

Regeln trotzdem durchsetzen

Ganz klar distanziert sich die Autorin vom „Laissez-faire-Stil“, auch wenn sie es wichtig findet, Kinder grundsätzlich mitreden und mitentscheiden zu lassen. Sie ist der Meinung, dass alle Fragen, die Gesundheit und Sicherheit des Kindes betreffen, von den Eltern entschieden werden sollen. Dabei ist es aber wichtig, mit dem Kind auf Augenhöhe zu sein und ihm Regeln so zu vermitteln, dass sie ankommen. Dabei geht es weniger um das Was als um das Wie.

Als wichtigste Grundregel versteht die Autorin, Kindern persönliche Informationen, also Ich-Botschaften zu vermitteln, wie: „Mir ist das zu laut!“ statt: „Man schreit nicht so rum!“ Sie meint, dass Kinder uns viel besser zuhören, wenn hinter einem Bedürfnis ein echter Mensch steht, der sich etwas wünscht, als ein abstraktes Regelwerk.

Die 21-Tage-Challenge

Für diejenigen, die wie ich begeistert von den vielen kreativen Ideen sind, gibt es am Ende des Buches eine spezielle Herausforderung: 21 Tage ohne Schimpfen. Meine Kinder haben das Buch entdeckt, bevor ich die Challenge starten konnte, und jubelten gleich los. „Jippie, jetzt darfst du nichts mehr sagen, wenn ich zu lange am Tablet spiele oder nicht schlafen gehen möchte!“ Puh! Erwischt! Bevor man also mit dieser Sache beginnt, sollten alle Beteiligten informiert sein und auch Bescheid wissen, was das nun NICHT heißt. 21 Tage ohne Meckern soll nicht heißen ohne REGELN! Es soll nur die Familienatmosphäre verbessern! Kinder können dabei natürlich helfen. Sie haben oft große Freude daran, bei einer Veränderung mitzuwirken.

Die Autorin berichtet aus eigener Erfahrung:

Mein damals achtjähriger Sohn lernte sehr schnell, mich an achtsames Atmen zu erinnern, wenn ich anfing, mich zu ärgern. Er stand dann immer hinreißend hilfreich hechelnd neben mir – was uns am Ende beide zum Lachen brachte.

Ein Ausspruch zum Abschluss, den ich mir gerne mitnehme: „Lachen ist das Rettungsboot auf dem Strom des Lebens – nutzen Sie es, es ist immer für Sie da!

 

Buchtipp

Erziehen ohne Schimpfen
Alltagsstrategien für eine artgerechte Erziehung.
Nicola Schmidt
GU-Verlag, 2019
€ 17,50
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