Eltern werden ist nicht schwer…Eltern sein dagegen sehr!

Es stimmt: Eltern werden ist nicht schwer…Eltern sein dagegen sehr!
Sehr oft erreichen mich in meiner Coaching- und Beratungspraxis, der „Wertschätzungszone“, Anfragen von frischgebackenen Eltern, weil diese überrascht sind, dass sich mit der Elternrolle noch viel mehr verändert, als sie sich vorgestellt haben!

Ein Kind lädt uns immer ein, uns auf die Suche nach uns selbst zu begeben, auch wenn wir glauben, dass wir uns doch schon längst kennen und gefunden hätten. Sobald wir nämlich das erste Kind bekommen müssen wir uns als Mutter oder Vater neu kennen lernen – anstatt uns hinter einem selbst auferlegten oder sozial angepassten Regelwerk zu verschanzen, weil wir gar nicht wissen, wer wir wirklich sind (außer das an unsere eigenen Eltern angepasste Wesen).

Die Phasen unserer menschlichen Entwicklung

  • Symbiotische Bindungsphase (Ich = Du)
  • Erforscherphase/Autonomiephase (Ich bin NICHT Du!)

Nach der symbiotischen Bindungsphase entwickeln sich Kinder in die Erforscherphase/Autonomiephase.
Hier dürfen Kinder ihr NEIN finden. Und das fordert uns als Eltern heraus, auch unser Nein in uns zu finden, zumal ich viele Menschen kenne, deren JA zu den eigenen Eltern noch sehr groß ist – of sind wir damit beschäftigt, unsere eigenen Eltern glücklich und zufrieden zu machen. Dabei bleiben wir oft selbst auf der Strecke. Für viele frischgebackene Eltern war das jedoch bisher „normal“, denn Selbstfürsorge ist etwas, das wir erst im Zusammenleben mit den eigenen Kindern, im neuen Elternsein, lernen müssen.

Ein Kind lädt uns immer ein, uns auf die Suche nach uns selbst zu begeben, auch wenn wir glauben, dass wir uns doch schon längst kennen und gefunden hätten.

Bedürfnisse äußern lernen

Ich ermutige Eltern immer, Selbstfürsorge gemeinsam mit ihren Kindern zu lernen. Unsere Kinder sind ein gutes Beispiel – sie melden sich sofort mit dem, was sie wollen. Diese Bedürfnisse müssen wir Eltern auch bei uns selbst sehen und spüren lernen, und auch wir müssen uns bezüglich unserer Grenzen und unseres Wollens persönlich äußern:

  • „Ich will in einer halben Stunde nach Hause gehen! Ich sage es dir 10 Minuten davor noch einmal.“
  • „Wie oft willst du noch rutschen bevor wir gehen?“

Aber wie können wir all diese Sätze parat haben, wenn wir das in unserer Herkunftsfamilie nicht gelernt haben, wenn unser Tun oft dazu dient, andere zufrieden zu machen und nicht uns selbst?

 

Brief eines jungen Vaters

Ich habe Probleme im Umgang mit meiner Herkunftsfamilie. Lange Zeit lebte ich in einer Blase der Liebe und Fürsorge und meine Eltern waren starke Vorbilder für mich an denen ich mich orientiert habe. Ich habe eine starke Bindung zu meinen Eltern und meiner Schwester, die noch zu Hause lebt. Sie ist 32. Weil sie quasi dort versorgt wird, bekomme ich im Monat 500,- von meinen Eltern.
Seit ich selbst Vater bin, hat die „Fassade“ der perfekten Familie zu bröckeln begonnen. Die Geldzuwendungen kommen mir komisch vor. Es ist nicht möglich offen zu kommunizieren, ohne dass nicht jemand die Augen verdreht oder beleidigt ist. Im Umgang mit unserem Sohn wird jeglicher Wunsch, Dinge so zu handhaben wie wir es für richtig halten, belächelt bzw. als Angriff erachtet und mit einem: „Ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt, wenn euch der Kleine auf den Kopf sch…!“
Mir wurde als Kind einerseits sehr viel Liebe und körperliche Nähe (vor allem von meiner Mutter) zu teil, und andererseits habe ich das Gefühl, jetzt wo ich sie im Umgang mit Henry sehe, dass ich nach ihren Vorstellungen geformt wurde. Sie wollten natürlich nur das Beste, ihr und meinem Vater war es wichtig uns zu starken Personen zu machen die sich in der harten Welt bzw. Gesellschaft zurechtfinden sollten. Ich bin voller Schuldgefühle, Wut und Ohnmacht und möchte am liebsten gar nicht mehr hin fahren! Mich zerreißt es innerlich!

Die Kommunikation in der Herkunftsfamilie dieses jungen Vaters war augenscheinlich nur dann möglich, wenn gesagt wurde, was seine Eltern hören wollten. Das engt ganz schön ein! Und wenn dieser junge Mann seine persönlichen Bedürfnisse gezeigt oder ausgedrückt hat, dann wurde er, und wird bis heute belächelt, klein gemacht. In diesem Zusammenhang klingen die 500 € fast wie Schweigegeld!
Wenn dieser junge Mann will, dass es ihm besser geht, dann muss er seine Eltern besuchen fahren und er wird sich so diesem Problem stellen müssen! Damit er in seine eigene Form findet, seine Bedürfnisse akzeptiert und angenommen werden und er der Vater, der Mann, der Mensch sein kannst, der er sein will. Das ist ein Prozess, der Mut und Engagement fordert.

Paarbeziehungen, und somit gelingende Familien und das Elternsein, haben so gut wie keine Chance ihr volles Potenzial auszuschöpfen, wenn ein Teil des Paars versucht, ein (emotionales) Gleichgewicht in seiner/ihrer Ursprungsfamilie aufrecht zu erhalten. Diese Dynamik gilt es aufzulösen, wenn sich ein Paar als Team und in einer kollaborativen Allianz erleben möchte. Man muss aufhören, versuchen zu wollen es den eigenen Eltern recht zu machen – wenn dabei die eigenen Bedürfnisse und die Bedürfnisse in der Partnerschaft, der eigenen Elternschaft, des Elternseins „auf der Strecke“ bleiben.

Denn: wenn sich einer im System verändert, verändert sich das System.

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