Den Übergang vom Kindergarten in die Schule begleiten

Was sollten Kinder vor dem Schulstart können? Wie können Eltern sie in ihrer körperlichen und seelischen Entwicklung unterstützen? Tipps von Psychotherapeutin Barbara Gawel für die Vorbereitung auf die Schule.

Der Übergang vom Kindergarten in die Schule ist für jedes Kind ein großer Schritt. Dafür muss sich ein Kind auf eine neue Bezugsperson einstellen, auf eine neue Umgebung einlassen oder sich selbst zum Beispiel mit der Jause oder auf der Toilette helfen können. Pädagogin und Psychotherapeutin Barbara Gawel rät Eltern bei einem Vortrag des wienXtra-Instituts für Freizeitpädgagogik, sich in ihre Kinder hineinzufühlen: Welche Unterstützung braucht mein Kind für den Schulstart? Und was kann es schon gut?

Gawel erinnert an das eigene Gefühl, im Kindergarten als Vorschulkind zu den Großen zu gehören. In der Schule fangen Kinder wieder als „die Kleinsten“ an. „Es ist wichtig, Kindern ein gutes Gefühl für die Schule zu vermitteln, als Bezugsperson positiv von der Schule zu reden und in Erfahrung zu bringen, wie es dort abläuft und aussieht“, sagt Gawel. Jedenfalls braucht es eine positive Einstellung dem Schulstart und der Schule gegenüber.

Körperliche, seelische, kognitive Reife ist Voraussetzung

Kinder bringen Motivation und Eifer für das Lernen mit. Um dies in die richtigen Bahnen zu lenken, müssen Kinder auf einem dem Schulstart entsprechenden Entwicklungsstand sein. Früher hätte ausschließlich die Körpergröße genügt, um die körperliche Reife des Kindes zu messen, erzählt Barbara Gawel, „heute wissen wir, dass sie nicht ausreicht“. Die psychologischen Entwicklungsfaktoren stehen im Vordergrund.

  • Das Kind braucht emotionale Stabilität, es muss sich für eine gewisse Zeit von seiner Bezugsperson trennen können. „Wenn ich das nicht kann, bin ich vor allem mit mir beschäftigt“, schildert Gawel die Problematik.
  • Das künftige Schulkind braucht eine grundsätzliche Motivation für die Schule, die von ihm selbst ausgeht.
  • Es muss eine Leistungshaltung mitbringen, bis zu 20 Minuten bei einem Projekt sitzen und sich dafür motivieren können.
  • Ein Kind muss vor dem Schuleintritt ein Regelverständnis haben und Regeln einhalten können. Barbara Gawel zeigt ein einfaches Würfelspiel, für das Kinder zum Beispiel selbst Regeln aufstellen können.
  • Das zukünftige Schulkind sollte die Jahreszeiten kennen. „Das ist auch Ziel des Kindergartens, das Leben in Jahreszeiten kennenzulernen“, sagt Gawel.
  • Ein weiteres Reifemerkmal ist, Zusammenhänge zu kennen und zu verstehen, zum Beispiel, wie wir zuhause das Abendessen herrichten, was wir alles brauchen, um zu essen. Auch einfache Experimente mit Kindern fördern dieses Verständnis.
  • Außerdem sollte das Kind Anweisungen verstehen, die mindestens drei Aufforderungen beinhalten.
  • Auch die Sprachentwicklung ist ein Reifemerkmal. „Die Sprache des Kindes ist kontextgebunden, der Wortschatz reift nach“, erklärt Gawel. Wichtig sei die Erkenntnis des Kindes, nachzufragen, wenn es etwas nicht versteht. Eltern sollten ein Verständnis entwickeln, was ihr Kind (nicht) interessiert, was ihm Sorgen macht und anbieten, zuzuhören und da zu sein. Der Dialog ist das wichtigste.

Gleichzeitig beruhigt Barbara Gawel: „Kein Stress, wenn Sie die Checkliste nicht abhaken, das sind Richtwerte!“

Wie können Eltern ihre Kinder auf dem Weg zu dieser körperlichen und seelischen Reife unterstützen? Psychologin Barbara Gawel weiß um begleitende Maßnahmen:

Übergang vom Kindergarten in die Schule: Leistungsbereitschaft fördern

Wichtig vor dem Schuleintritt ist ein gewisses Maß an Anstrengungsbereitschaft, das Kinder mitbringen sollten. Kann sich ein Kind freuen, miteinander einzukaufen oder einen Kuchen zu backen? Kann es dranbleiben und durchhalten? Außerdem braucht es die Fähigkeit, eine unmittelbare Befriedigung aufzuschieben. In der Schule ist es nicht möglich, ein Bedürfnis sofort zu befriedigen.

Eltern rät Gawel für die Förderung der Leistungsbereitschaft, das Kind auf die Schule neugierig zu machen, zum Beispiel Bilderbücher über die Schule anzubieten oder Schule zu spielen. Auch eine neue Schultasche kann den Reiz wecken oder einfach die Tatsache, nicht mehr wie der kleine Bruder in den Kindergarten zu gehen.

Feinmotorik entwickelt sich aus der Grobmotorik.

Motorik fördern

Um schön und unverkrampft schreiben zu können, braucht es einige motorische Entwicklungsschritte. Die Feinmotorik entwickelt sich aus der Grobmotorik – erst malt das Kind zum Beispiel mit der ganzen Hand, später detailreich mit Stiften. Um Körperbeherrschung zu üben, rät Gawel zu Übungen wie auf einer Schnur zu balancieren, abwechselnd links und rechts über die Schnur zu hüpfen oder rückwärts zu hüpfen.

Problemlösungskompetenz fördern

Ein guter Schritt sei auch, das Kind anzuregen, selbst Probleme zu lösen. Statt selbst die Lösung vorzugeben können Eltern ihr Kind fragen: „Hast du schon eine Idee?“ Wenn es eine Frage hat, können sie gemeinsam erkunden, wo sie nachschauen können, um eine Antwort zu finden.

Spielen fördern

Eine Lebensweisheit lautet:

Je besser das Kind spielen kann, desto besser kann es lernen.

Barbara Gawel appelliert an die Eltern: „Kinder beim Spielen vor Schuleintritt fordern und fördern!“ Das Spiel ist lebensnahes, kindgerechtes Lernen, dabei können Kinder herausgefordert werden. Beispiele:

  • Memory mit Motiven, die sehr ähnlich aussehen
  • Origami-Faltfiguren
  • harte Nudeln mit Essstäbchen von einem Gefäß ins andere legen
  • selbst einen Obstsalat zubereiten

 

Origami falten fordert Kinder geistig heraus.

Zum Üben sei alles gut, was Spaß macht, betont Gawel. Tetris-ähnliche Spiele wie „Fits“ fördern die räumliche Wahrnehmung, Geschicklichkeitsspiele fordern die Kinder heraus – oder, um es mit Barbara Gawels Worten auszudrücken: „Damit sich die Kinder geistig auf die Zehen stellen.“ Das könne auch gefördert werden, indem ein bekanntes Spiel wie Feuer-Wasser-Sturm mit Karten anstatt mit Worten angeleitet wird. Das fordert die für die Schule wichtige Abstraktionsleistung, etwas anders als gewohnt machen zu können.

Vorbereitung auf den ersten Schultag

Wenn es soweit ist und der Schuleintritt näherrückt, ist eine gute Vorbereitung unerlässlich. „Ein Kleinkind überschätzt sich in seiner Entwicklung!“, warnt Barbara Gawel, der Schulweg sollte beispielsweise wirklich geübt sein. Der Ablauf des ersten Schultages sollte für Eltern und Kinder vorab klar sein. Ungeklärte Fragen wie ‚Hab ich einen Platz?‘ oder ‚Neben wem sitze ich?‘ sollten nicht beunruhigen müssen.

Um gut lernen zu können, muss ich mich geborgen fühlen. „Wenn die Geborgenheit in der Schule fehlt, kann ich sie von zuhause mitgeben“, rät Gawel. „Sie haben in sechs Jahren das Fundament für die Entwicklung Ihres Kindes aufgebaut“, sagt Gawel zu den Eltern. Um dem Kind Sicherheit mitzugeben, reicht womöglich schon ein kleiner Anhänger oder eine routinierte Handbewegung beim Abschied.

Wenn die Schule begonnen hat

Das Thema Schule ist freilich mit dem Schulstart nicht vorbei. Wenn die Eingewöhnung erfolgreich verlaufen ist, sei es im ersten Schuljahr normal, dass der Wiedereinstieg nach den Weihnachtsferien oder nach längerer Krankheit schwierig ist, betont Barbara Gawel. Wenn die Motivation nachlässt, ist eine Hilfestellung, sich bewusst zu machen, wofür das Lernen, der Schulbesuch oder die Hausübung gut sein kann.

Für manche Kinder ist eine Abwechslung der Lerntechniken wichtig, einige Kinder lassen sich mit Bewegung motivieren, das Lernen per Laufdiktat kann eine Hilfe sein. „Es müssen auch nicht alle Kinder beim Lernen sitzen!“, sagt Gawel, ein Hüpfball könne auch eine Lösung sein. Und natürlich sind eine gute Arbeitsumgebung und befriedigte Bedürfnisse wichtig, bevor das Lernen beginnt. Gawels motivierende Botschaft zum Schluss: „Jedes Kind hat mal Durchhänger, es braucht Zutrauen und das gemeinsame Dranbleiben und Durchstehen.“

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