Gibt es den Osterhasen wirklich?

Belügen wir unsere Kinder, wenn wir vom Osterhasen sprechen? Bröckeln mit der Offenbarung, dass es den Osterhasen nicht gibt, die religiösen Fundamente weg? Geht etwas von Ostern verloren? Vor allem: Verspielen wir als Eltern unsere Glaubwürdigkeit? Ein Erfahrungsbericht.

„Heuer entfällt Ostern, sie haben den Osterhasen überfahren. Ich hab es selbst gesehen!“ Mit diesen dramatischen Worten erlaubte sich in meinen Kindertagen ein Großonkel Jahr für  Jahr seinen grausamen Spaß mit mir. Stets blankes, ehrliches Entsetzen auf meiner Seite.

Hat Ostern etwa nichts mit Brokkoli zu tun?

Ohne Osterhase keine Ostereier. Ohne Ostereier kein Ostern. Diesen Zusammenhang hatte ich schon früh erfasst. Niemand hatte mich als Kind je darüber aufgeklärt, warum wir Ostern feiern, bis im Religionsunterricht in der ersten Klasse unser altehrwürdiger Pfarrer selbst mir reinen Wein einschenkte: Zu Ostern gehe es um Jesus, Auferstehung, neues Leben, Freude. Oha! Mehr als nur Osterhase? Und von ihm habe ich auch gehört, dass es am Gründonnerstag nicht zwingend erforderlich sei, möglichst nur Grünes zu essen. Also kein Spinat, Salat und Brokkoli?

Hühnerheld und Hirngespinst

„Komisch, warum sagt mir das zu Hause keiner?“, wunderte ich mich damals zutiefst enttäuscht am Heimweg von der Schule. So stand ich da wie die Blöde.

Allzu verständlich, dass ich im Lauf meiner Jugend eine österlich-pädagogische Kehrtwende einlegte. Ich würde meinen Kindern von Anfang an die ganze Wahrheit erzählen. Kein langhaargelocktes Christkind und kein langstreckenhoppelnder Osterhase sollte unsere Wege jemals kreuzen. Bei uns würde der Geburtstag von Jesus gefeiert und das Fest der Auferstehung und damit basta. Und wir würden uns gegenseitig beschenken. Einfach und ehrlich.

Dann kamen meine Kinder. Und die haben den Osterhasen selbst gesehen. Mehrmals. Alle drei. Das waren schlagende Gegenargumente.

Religion und Tradition in friedlichem Nebeneinander

Zugeben muss ich an dieser Stelle: Zur Festvorbereitung hatten wir die Kinderbibel gelesen und uns gleichzeitig in die Welt der Osterhasen und -hühner vertieft. Wir redeten über das, was mit Jesus geschah und wir dachten im selben Atemzug darüber nach, wie man den ostergestressten Hennen aus der Legemisere helfen könne. Beides ist nämlich so spannend. Eines ist wahr, das andere erfunden. Das voneinander zu trennen scheinbar kinderleicht.

Bei meiner Hasenehre – ich lüge nicht!

Allerdings schildere ich den Osterhasen nicht von mir aus in allen Schattierungen seines Felles. Ich schwöre auch keinen Eid darauf, dass er die Eier in unserem Garten versteckt und habe noch kein Wort mit ihm gesprochen. Ich gestehe sogar, ihn noch niemals gesehen zu haben – weder tot noch lebendig. Hasenehrenwort!

Aber in der Fantasie der Kinder lebt der Osterhase trotzdem. Anders als Jesus und doch auf gleiche Weise real für sie. Eine Zeit lang. Und das ist gut so!

Mädchen füttert Huhn

Die Stunde der Wahrheit

Es kam die Stunde, in der ich mich schließlich als Helferin vom Osterhasen outete. Diese Art von sozialer Gesinnung war für meine Kinder in Ordnung. Zuerst half ich Meister Lampe in kleinen Dingen, dann unterstützten wir ihn gemeinsam beim Eierfärben und stellten die Osterkörberl des Vorjahres vor die Tür – zum Wiederbefüllen. Die gefärbten Eier auch. Die waren dann plötzlich weg. Aber hallo! Wer hat sie geholt? Hasenhausenfeeling pur!

Schenken macht Freude – nicht nur Hasen

Von Jahr zu Jahr spannte uns dieser Hase mehr und mehr in seine ehrenwerten Tätigkeiten ein und irgendwann kümmerte er sich um kleinere Kinder und größere Gärten als bei uns. Wir schaukeln das inzwischen selbst. Selten schaut er noch auf einen Sprung vorbei. Nur in den Momenten, in denen unser Jüngster kurz an ihn glauben will.

Auslaufmodell und Allerweltsliebling Osterhase

Die Sache mit dem Tod und der Auferstehung ist von Jahr zu Jahr mehr in den Vordergrund gerückt und gewinnt an Geheimnis und Faszination. Die Geschichten aus Hasenhausen wurden abgelöst von Storys aus Entenhausen. Weh getan hat uns dieser schleichende Abschied vom Osterhasen nicht – vielleicht weil er gar nie wirklich stattfinden musste. Denn natürlich gibt es ihn! Jeder von uns hoppelt dann und wann einmal durch den Garten und die Wohnung. Zumindest zu Ostern!

Ein Halleluja auf vier Pfoten

Wie bunt ist unser Land mit all seinen Osterbräuchen, -ritualen und -geschichten. Wie dicht ist die vorösterliche Zeit: Jesusfreundschaft neben Hasenliebe, Hosanna neben Hasenhausen! Das eine nimmt dem anderen nichts weg. Nur keine Angst vor dem Osterhasen!

Ähnliche Artikel

Ein Artikel von

Portraitfoto Birgit Linhart

Weitere Artikel des Autors lesen