Raus aus der Mental Load Falle

Ursprünglich wollte ich dieses Buch in Hinblick auf die meist sehr stressige Vorweihnachtszeit lesen, habe aber festgestellt, dass dieser Ratgeber so viel mehr ist.
 

Die Autorin des Buches  ist Mutter von drei Kindern, berufstätig und hatte einen tollen Partner und aktiven Vater an ihrer Seite. Dennoch beschreibt sie, dass sie sich über Jahre kraftlos und müde fühlte.

Dauererschöpfung

„Dauererschöpfung gehört zum Muttersein“, jahrelang akzeptierte sie diese Aussage, ohne auch nur darüber nachzudenken, bis sie 2017 einen Comic entdeckte, der den Begriff „Mental Load“ aufgriff. Das war der Augenöffner für Patricia Cammarata. Sie begann darüber nachzudenken – und auch andere Mütter zu fragen – was unter Mental Load zu verstehen sei.

Was bedeutet Mental Load?

Mental Load sind jene unsichtbaren Aufgaben, die in der der Familie kaum jemand wahrnimmt, die To-Do Listen, die es täglich abzuhacken gilt und bei denen ständig etwas neues dazu kommt, das gespeicherte Wissen über die Vorlieben der eigenen und fremden Kinder, das permanente Mit- und Vorausdenken. Dazu das permanente Gefühl, für die Zukunft der Kinder verantwortlich zu sein.

Die Autorin schildert, dass vor allem Frauen sofort wissen, was hinter dem Begriff „Mental Load“ steht. Cammarata möchte in ihrem Buch nun Anreize geben, traditionelle Rollenbilder aufzubrechen und den Mental Load so zu verteilen, dass alle Partner zufrieden sind.

Sie plädiert dafür, sich den eigenen Wert bewusst zu machen, indem man jede „Arbeitsminute“ notiert - das sind meist weitaus mehr als 40 Wochenarbeitsstunden. Daher der logische Schritt: Erstmal Aufgaben und Tätigkeiten zu reduzieren.

„Machen wir es uns leichter“

Die Autorin schlägt einige Methoden vor, um die Menge an täglichen To-Dos zu reduzieren, beispielsweise einiges einfach wegzulassen, einzelne Aufgaben abzuspecken (gekaufter Kuchen statt selbst gebackener), manche Aufgaben jemand anderem zu übertragen (Putzhilfe, Lieferdienst), etc.

Außerdem: weniger Perfektionismus an den Tag legen - die „gut-genug-Lösung“ ist die richtige und völlig ausreichend.

  • Zwei Punkte, die den stressigen Alltag erleichtern, meiner Meinung nach jedoch mühsam zu erlernen sein werden: Erstens sich nicht immer für alles verantwortlich zu fühlen und aufhören, alles zu tun.
  • Der zweite Punkt ist: Tiefenentspannt durchs Leben zu gehen durch Resignation und Gelassenheit. Einfach mal sein lassen und es dabei  schaffen, sich nicht darüber aufzuregen, dass schon wieder die Klamotten der Kinder herumliegen oder die Zahnpasta am Boden klebt. 

 

Die oben erwähnte Reduktion oder das Delegieren des täglichen Workloads reicht aber bei weitem nicht aus, um der Mental-Load Falle zu entgehen – die Verantwortung und das ständige Mitdenken bleiben.

Schritt für Schritt raus aus der Mental Load Falle

Zuerst einmal muss das Unsichtbare sichtbar gemacht werden. Dann als Paar Routinen entwickeln um die Arbeits- und Verantwortungslast zu teilen.

#1 Bestandsaufnahme des Mental Load. Alle Aufgaben notieren, die getan werden müssen -  und sind sie noch so klein und selten.

#2 Die Häufigkeit und Dauer der Aufgaben wird durch die Beantwortung der Fragen: Wer macht das? Wer denkt daran? Wie oft? Wie lange? sichtbar gemacht werden. Also jede einzele To-Do durchgehen und bewerten.

#3 Regelmäßig planen. Am besten einmal in der Woche mit dem Partner einen festen Termin vereinbaren in dem die kommende Woche (nicht länger!) besprochen wird.

Worauf die Autorin hinweist ist, dass der zuständige Partner, das „Gesamtpaket“ übernehmen muss. Somit ist sichergestellt, dass der Punkt aus der Liste und aus dem Gedächtnis des Anderen vollständig verschwinden kann. Der Partner wird nicht mehr als Dienstleister, Gebrauchsanweisung oder als erweitertes Gedächtnis missbraucht. Das tut auch der Paar-Beziehung gut.

#4 Der Blick zurück

Ursachen bekämpfen

Wie man Mental Load los wird  und gerechte Arbeitsteilung in der Familie gelingt. Patricia Cammarata beschreibt anhand ihrer Familie und ihres Umfeldes einige Punkte:

  • Kinder dürfen/müssen dem Alter entsprechend mithelfen und auch Männer können das, was man gemeinhin als „Frauenarbeit“ sieht, erlernen. 

Dabei hilft es, Geduld zu haben und das „Abgeben“ zu trainieren. Mütter haben oft einen Kompetenz- und Erfahrungsvorsprung, d.h. sie müssen erst „lernen“ den Männern etwas zuzutrauen und mit einer anderen Herangehensweise klarzukommen. Dabei hilft es, über wichtige Punkte zu reden. Als ehemalige (r)  Hauptverantworltiche(r )  darf man definieren was unerlässlich und was optional ist und den Partner bitten, das auch zu beachten. (Bspl.: beim Zu-Bett-bringen der Kinder ist Zähneputzen unerlässlich, Pyjama anziehen aber optional).

  • Über Prioritäten reden (lernen) und über Erwartungen sprechen (Vielleicht erwartet der Partner gar keine blitzsaubere Wohnung, was ist für die Familie das „angemessen Richtige“?).
  • Den Kindern mitgeben, dass auch Papa verantwortlich ist und das „Prinzip der Gegenseitigkeit“ anwenden. Damit ist gemeint, dass Informationen geteilt und innerhalb der Familie weiter gegeben oder  aktiv eingefordert werden. Für die Frau heißt das oft, ihre gewohnte Rolle zu verlassen und das Thema Kinder und Erziehung mit allem was dazu gehört nicht mehr an sich zu reißen. Gleichzeitig verlässt auch der Mann sein traditionelles Rollenbild. Das verlangt von einem selbst: Milde walten lassen, Nachsicht üben, Ungewohntes akzeptieren, …und immer wieder Kommunikation und Verhandeln. 

 

Zeit ist wichtiger als To-Do Listen abzuhaken

Patricia Cammarata schildert, dass allein der intensive Versuch, den Mental Load zu reduzieren bzw. partnerschaftlich aufzuteilen, Familien näher zusammen bringt. Die Beziehung zu den Kindern wird besser und der (geplante) intensive Austausch mit dem Partner beschert Nähe. Geteilter Mental-Load  verhilft zu mehr Energie, mit der es möglich ist als Paar (wieder) füreinander da zu sein.

Meine persönliche Kritik

Patricia Cammarata geht mehr oder weniger davon aus, dass die (männlichen) Partner gewillt sind, etwas zu tun, also bei der Kindererziehung und im Haushalt Aufgaben übernehmen möchten. Männer können lernen (das ist sogar der Titel eines Kapitels ihres Buches), das ja. Aber was mache ich, wenn der Partner sich weigert?

Diesen Punkt bringt die Autorin selbst ein - die Erfahrung, dass sie selbst in einer besonders gleichberechtigen Partnerschaft lebt. Viele Frauen in ihrem Umfeld jedoch oder Frauen, denen sie bei Vorträgen begegnet, stoßen bei ihren Männern auf Granit. Die Arbeitsstunden der Männer sind mehr „Wert“, daher sehen sie nicht ein, dass sie sich „herablassen“ sollen, Hausarbeit zu verrichten.

Dafür hat die Autorin leider auch keine Lösung. 

Zusammenfassung

Das Buch „Raus aus der Mental Load Falle“ benennt Probleme und Situationen, die vor allem Frauen und Mütter kennen und zeigt Lösungen auf, wie es gelingen kann, den Mental Load gleichberechtigt und partnerschaftlich zu verteilen. Die Autorin appelliert an gegenseitiges Verständnis und die Bereitschaft traditionelle Rollenbilder zu verlassen, um Veränderung in der Familie und Partnerschaft zu erreichen. Die Psychologin und Elternbloggerin Patricia Cammarata weiß, wovon sie schreibt, was anhand ihrer To-Do Listen und Aufgabenverteilungen schnell klar wird. Das Buch regt zum Nachdenken und Überprüfen des eigenen „Mental Load“ an. Es bietet eine detaillierte Anleitung mit dem Mental Load umzugehen und erprobte Lösungsansätze.

Patricia Cammarata. Raus aus der Mental Load Falle. Beltz Verlag, Weinheim, 2020.

224 Seiten.

Ähnliche Artikel

Ein Artikel von

Weitere Artikel des Autors lesen