Nähe und Distanz bei heranwachsenden Kindern

Die Mutter ist die beste Freundin und trägt ähnliche Klamotten. Der Vater interessiert sich für die Musik der Tochter und begleitet sie zu Konzerten. Was ist zu viel Nähe und was zu wenig?

Interesse an der Lebenswelt seiner Kinder ist wichtig. Daran gibt es nichts zu rütteln. Aber ist es nicht auch geradezu grundlegend für eine funktionierende Eltern-Kinder-Beziehung, dass auch Distanz gewahrt wird und der Blick eher „von außen“, als von mittendrin kommt? Womöglich ja.

Der Blick von außen ist analytisch-klar und von einer Lebenserfahrung her gespeist als der Blick von „mittendrin“. Gut möglich, dass sich der Vater so sehr für gegenwärtige Musiktrends interessiert und ganz generell ein offenes Ohr für Pop-Trends hat, dennoch wird er die Musik nicht gleich wie seine Tochter hören können. Er hat mehr Hörerfahrung, einen anderen Blick, ein anderes Ohr. Leugnet er das, dann ist es anbiedernd und unter Umständen sogar peinlich.

Doch wie gelingt die Balance aus Distanz und liebevollem Interesse an der Lebensrealität des Kindes? Keinesfalls darf man dabei in die „Boomer-Fall“ treten.

Auch die Mutter kann sich die Mode-Trends und die Kleidungsgewohnheiten der Tochter nicht einfach so „überstreifen“. Denkbar ist zwar eine ironische Aneignung oder ein spielerischer Partnerlook, doch Mütter sollten sich anders als ihre Töchter kleiden. Sie haben schließlich schon zahlreiche Modetrends miterlebt, haben schon sehr viele Trends kommen und sehen gesehen und haben sich über die Jahre einen Mode- und Kleidungsgeschmack aufgebaut, der dadurch substanzieller und weniger kurzlebig ist.

Doch wie gelingt die Balance aus Distanz und liebevollem Interesse an der Lebensrealität des Kindes? Keinesfalls darf man dabei in die „Boomer-Fall“ treten. In ebenjener agieren Vater und/oder Mutter überheblich und sind von der Annahme getrieben, dass früher irgendwie alles besser war. Die Mode differenzierter und weniger aufreizend, die Musik tiefgehender und weniger auf den schnellen Klick hin geschrieben und produziert.

Vielmehr müssen Eltern die unterschiedlichen kulturellen und gesellschaftlichen Bedingungen mitreflektieren. Dass Musik heute anders klingt und Mode anders aussieht ist auch Ausdruck dessen, wie sich unsere Welt und der Markt verändert hat. Man tut gut daran, sich nur hin und wieder zu äußern. Etwa, wenn in Sachen Mode die fast schon überzeitlich geltenden Regeln des Anstands verletzt werden oder sonstige universelle Etikette-Verstöße anfallen.

Nicht vergessen sollte man allerdings, dass man nicht bester Freund und beste Freundin des Kindes ist. Das Kind braucht auch Reibung, Widerspruch.

Ansonsten gilt es auch Distanz und Toleranz walten zu lassen. Gerne kann man immer wieder einen inneren Blick in die Lebensrealität seiner Kinder werfen. Nichts spricht dagegen, dass man sich gemeinsam Musik anhört, diese wertschätzend diskutiert und dass man als sich temporär verbrüdert oder verschwestert. Gemeinsame Shopping-Touren sind möglich, ebenso gemeinsame Konzertbesuche oder ähnliches.

Nicht vergessen sollte man allerdings, dass man nicht bester Freund und beste Freundin des Kindes ist. Das Kind braucht auch Reibung, Widerspruch, kritische Diskussion und die Möglichkeit sich mit Mode- oder Musikgeschmack von den Eltern abzuheben. Beides sind Zeichen einer sanften Rebellion und Selbstfindung. Fallen diese Ebenen weg, dann verschiebt sich die Rebellion zwangsläufig auf andere Gebiete. 

Soll heißen: Kinder leben davon einerseits verstanden, geliebt und wertgeschätzt zu werden, andererseits aber auch davon, dass sie nicht verstanden werden wollen. Dieser „Ort“ ist auch eine Bastion gegen die Eltern, ein Rückzugsgebiet, ein Raum, in dem man sein eigenes Sein und Werden verorten und ausleben kann.

Wer das beachtet, hat womöglich den Schlüssel zur richtigen Balance zwischen Nähe und Distanz schon in der Hand. Es lohnt sich, diesen einzusetzen und auch von Zeit zu Zeit zu überprüfen, wo die neuralgischen Punkte in der Eltern-Kind-Beziehung reden. Sie sind nämlich nicht universell, sondern verändern sich je nach Alter der Kinder.

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