Kinder stärken – Selbstwert, Selbstliebe & Selbstvertrauen

Über Steine, Herausforderungen, Deckel, Potenziale und darüber, was Esel und Grashüpfer mit alldem zu tun haben…

Es ist schon paradox: da machen wir so viel möglich, damit unsere Kinder behütet aufwachsen, versuchen ihnen so viel Liebe, Geborgenheit, Sicherheit, Bindung, Oxytocin  mitzugeben, suchen die besten Schulen raus, ziehen an den Stadtrand oder aufs Land, versuchen alles Menschenmögliche, damit es ihnen gut geht – und dann kommen sie doch, die ersten „negativen“ Erfahrungen, auf die wir Eltern keinen Einfluss mehr haben: von anderen Kindern gehänselt, ungerecht behandelt werden, eine schlechte Note bekommen, obwohl man sich so bemüht hat, im Sportunterricht als Letzte*r in die Mannschaft gewählt werden, den besten Freund/ die beste Freundin mit anderen Kindern „teilen“ müssen, auf einer Geburtstagsparty nicht eingeladen werden oder der erste böse Sturz …! Als Eltern können wir da nur danebenstehen, trösten und begleiten.

Das tut weh.

Denn so gern würden wir dieses Kind, das wir über alles lieben, vor all dem beschützen.

„Kinder werden nicht lebensfähig, wenn wir alle Steine aus dem Weg räumen“ würde der berühmte Familientherapeut Jesper Juul jetzt einwerfen. Warum eigentlich nicht?

Gerald Hüther, Professor für Neurobiologe, beschreibt in einem seiner Bücher eine südamerikanische Studie an ehemaligen Hauseseln, die aus ihrer Gefangenschaft geflohen waren. Jene Esel wiesen nach einiger Zeit viel komplexere Gehirnstrukturen auf, als ihre Eselkolleg*innen, die weiter im sicheren Gehege geblieben waren. Die Erkenntnis dieser Studie: Gehirne passen sich an die Umwelt an, sie formen sich so, wie sie gebraucht werden.

Man wächst mit den Herausforderungen

Wer keine Herausforderungen hat, lernt auch nicht, wie man neue Aufgaben meistert. Sein Gehirn wird bequem und „hauseselig“.

Unsere Kinder brauchen also ein gewisses Maß an Herausforderung, an außerhalb-der-Komfortzone-sein, um Neues zu lernen und um Selbstvertrauen zu gewinnen. Denn Selbstvertrauen kommt durch das Meistern von Herausforderungen. Erst dadurch gewinne ich neues Vertrauen in mich und meine Fähigkeiten.

Wenn ich meinem Kind also keine Herausforderungen überlasse, immer sofort zur Stelle bin, verwehre ich ihm die Möglichkeit, etwas selbst zu meistern. Mehr noch, ich signalisiere ihm: „Du kannst das nicht alleine“. Viele Eltern haben jedoch den Wunsch, ein Kind großzuziehen, das mutig die Welt erkundet, das erforscht, neugierig ist, dass sich für Dinge einsetzt, die ihm wichtig sind. Sie möchten ihrem Kind eigentlich das Gefühl mitgeben, dass es alles erreichen kann.

Du kannst das!

Hierfür aber müssen wir unserem Kind Herausforderungen zumuten, wir müssen ihm das Gefühl transportieren: „Du kannst das!“, Zutrauen in es haben. Das fängt bei einem klärenden Lehrer*innen-Gespräch nach einer als ungerecht empfundenen Note an, das Kinder ab einem gewissen Alter durchaus alleine oder auch „nur“ in mutmachender Begleitung der Eltern führen können („Du führst das Gespräch und ich bin da, wenn du mich brauchst.“)  und hört bei … ja, wo hört es dann eigentlich auf?

Die Speakerin, Coach und Podcasterin Laura Malina Seiler erzählt in einem ihrer Podcasts folgende Anekdote: Versuchsweise wurden Grashüpfer in ein Glas gesetzt. Sie sprangen natürlich aus dem Glas, sie wussten ja, dass sie hoch springen konnten. Es war das Natürlichste der Welt für sie. Danach wurde ein Deckel auf das Glas gesetzt. Die Grashüpfer versuchten nun wieder, zu springen, stießen aber an den Deckel und hörten irgendwann auf, es weiter zu versuchen. Anschließend nahm man den Deckel wieder ab. Die Grashüpfer hüpften, trotz der Tatsache, dass ihnen die Welt nun wieder offen stand, nur mehr genauso hoch wie vorher, als der Deckel auf dem Glas war. Sie hatten sich ihre Grenze einprogrammiert. Sie war nicht mehr real, sie war nicht vorhanden, nur mehr in ihren Köpfen, ein imaginärer Deckel, der sie aufhielt, so hoch zu springen, wie sie es eigentlich gekonnt hätten.

Der „Du kannst das nicht“-Deckel

Bei uns Menschen gibt es auch Deckel, den „Du kannst das nicht“-Deckel, den „Du bist so tollpatschig“-Deckel, den „Immer bist du so laut“-Deckel, den „Sei nicht so wild“-Deckel, und viele weitere, die wir oft unbewusst und ungewollt setzen, in dem Glauben, unser Kind zu beschützen – vor schlechten Erfahrungen, vor Zurückweisung, vor Verletzungen.

Dabei unterliegen wir aber einem Trugschluss, denn wir können (leider) nicht immer da sein, um unser Kind vor Verletzungen zu bewahren. Das heißt, unser Kind sollte eigentlich lernen, selbst mit den Herausforderungen des Lebens umzugehen, es sollte resilient werden. Und das verhindern wir paradoxer Weise genau durch unser Bestreben, es zu beschützen, weil es somit viel zu selten in die Lage kommt, etwas selbst zu schaffen und dadurch Selbstvertrauen zu gewinnen und dieses wahnsinnig tolle Gefühl zu erleben: „Ich schaffe das schon, ich kann das“ – wie wundervoll ist dieses Gefühl? Dieses Gefühl ist es, das uns den Mut gibt, Probleme zu lösen und in die Welt zu gehen.

Wir können und sollten unseren Kindern nicht alle Steine aus dem Weg räumen, aber wir können ihnen so viel Selbstliebe, Selbstwert und Selbstvertrauen mitgeben, dass sie mit allen Steinen umgehen können, die ihnen vor die Füße geworfen werden.

Wir können sie stärken für die Herausforderungen des Lebens, wir können den Deckel abnehmen oder gar nicht erst draufsetzen, in dem Bewusstsein, dass wir es sind, die seine innere Stimme und sein Selbstbild maßgeblich prägen. Hierzu fällt mir folgendes Zitat von Astrid Lindren und ihrer großartigen Pipi Langstrumpf ein:

„Das habe ich noch nie vorher versucht, also bin ich völlig sicher, dass ich es schaffe!“ – Geben wir unseren Kindern eine Pipi-Langstrumpf-Haltung mit, machen wir sie groß, dann können sie alles schaffen!

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Ein Artikel von

Portraitfoto Barbara Grütze

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