Geschwister sollten gleich erzogen und unterschiedlich behandelt werden

„Mama, du bist so unfair!“ Die ältere Tochter ist beleidigt, weil ich heute das Lieblingsessen der anderen gekocht habe  und sie das jetzt auch noch essen „muss“. „Das ist so ungerecht“.   

Und ja, das ist es leider.

Selbst wenn ich meine Kinder gleich erziehen möchte, werde ich sie immer anders behandeln und es wird irgendetwas „unfair“ sein. Trotz aller Versuche wird der Weg zum selbstbewussten und glücklichen Kind, zum Erwachsen-Werden immer ein anderer sein und natürlich nicht gleich ablaufen.

 

Die Grundwerte sollten für alle gleich sein

Als Eltern versuchen wir, die Kinder möglichst gleich und gerecht zu erziehen. Sie sollen die gleichen Chancen und haben und wir vermitteln die selben Werte: Respekt im Umgang mit anderen, Höflichkeit, Ehrlichkeit und Verantwortungsbewusstsein. Und das ist auch gut so, denn solche stabilen Grundwerte schaffen für Kinder ein Umfeld, auf das sie sich verlassen können, egal wie verschieden sie sind.

 

Kinder sind einzigartig und nicht gleich

Jeder Mensch, jedes Kind hat eine eigene Persönlichkeit, andere Vorlieben und reagiert auf jede Situation anders.  Jedes Kind ist einzigartig.
Ich finde, je älter die Kinder werden, desto mehr zeigen sich Charakterstärken,  Interessen und Geschmäcker. Und desto unterschiedlicher sind ihre Reaktionen und ihr Verhalten. Wir können also gar nicht jedes Kind gleich behandeln, und sollten als Eltern erst gar nicht versuchen, das sklavisch durchzusetzen.

 

Wie schaut das nun in der Praxis aus?

Ein extrovertiertes Kind benötigt keine Ermutigung, um neue Freundschaften zu schließen, während ein introvertiertes Kind in dieser Hinsicht vielleicht Unterstützung braucht. Als Eltern können wir  mithelfen, indem wir zum Beispiel den Kontakt herstellen.


Ich finde aber, noch wichtiger ist es, überhaupt zu erkennen, ob mein Kind das jetzt gerade mag und braucht. Vielleicht will es im Gegensatz zur älteren Schwester am Spielplatz gar keine neuen Freundschaften knüpfen, sondern ist im Moment glücklich, alleine mit der Puppe auf der Schaukel zu spielen. Vielleicht mag es auch lieber einen Einzelsport machen als im Team zu spielen, weil ihn die Mannschaftskameraden oder der Lärm überfordern.

 

Gleiche Regeln für alle, damit es gerecht zugeht

Wie kann ich den Kindern bei aller Individualität vermitteln, dass keines benachteiligt behandelt oder „weniger beachtet“ wird? Indem es für alle gemeinsame Verantwortlichkeiten gibt.

Zum Beispiel: Jeden Abend deckt eines der Kinder den Tisch, sie wechseln sich ab. Das ist eine Aufgabe  bei denen sich die Mädchen absprechen müssen und merken, dass beide die selbe Verantwortung haben. Es gibt auch Aufgaben, die alle (!) im Haushalt zu erledigen haben, da ist niemand bevorzugt oder benachteiligt, gilt für Mama und Papa und alle Kinder z.B. die getragene Schmutzwäsche in den Korb geben.

Ich bin übrigens auch der Meinung, dass die Kinder grundsätzlich die gleiche Menge an Schokokeksen, Weintrauben oder Cracker auf den Teller bekommen sollten. Auch wenn ich das Argument nachvollziehen kann, dass man sagt, ein 3-Jähriges Kind hat einen viel kleineren Magen und weniger Hunger als ein 10-Jähriges, daher darf der Pudding für das 3-Jährige kleiner sein.

Für mich fühlt es sich „gerechter“ an, wenn beide Kinder die selbe Portion bekommen.

Sollte das große Kind dann immer noch Hunger haben, darf es gerne einen weiteren Pudding essen. Aber das muss natürlich jede Familie für sich entscheiden.


Manche Regeln sind aber doch anders

Die ältere Tochter kann andere Dinge als die Kleine, z.B. alleine zum Bäcker fahren, sie bekommt mehr Taschengeld als die jüngere Schwester, sie darf abends etwas länger aufbleiben und im Bett 15 Minuten länger lesen.

Und auch wenn es unfair erscheint, bekommen die Kinder zu Weihnachten nicht das selbe. Weihnachtsgeschenke werden den Interessen entsprechend verschenkt: Die kleine Schwester spielt noch mit Puppen, die Große wünscht sich  eine besondere Haarbürste. Bei manchen Wünschen – das ist aber die Ausnahme – bringt das Christkind zwei Mal das gleiche (z.B. einen Radhelm - das selbe Modell, eine andere Farbe). Ich finde es sinnvoll, wenn beide Kinder die gleiche Anzahl der Geschenke bekommen, das fühlt sich zumindest wie eine „gerechte Verteilung“ an. Später dann, so ab dem Teenageralter, verstehen die Kinder meist schon, dass etwas kleines teuer sein kann. D.h. wenn das Christkind das lang ersehnte Handy bringt, kann die kleine Schwester durchaus ein paar mehr Geschenke bekommen.

 

Individuelle Zeit – Rituale und spontane Reaktionen

Die Zeit der Eltern soll gerecht verteilt werden, weil die aktive, ungeteilte Aufmerksamkeit von Mama und Papa das Selbstbewusstsein stärkt.

Tägliche (kurze) Rituale mit jedem einzelnen, z.B. das Vorlesen eines Buches für nur ein Kind. Auch wöchentliche Rituale, z.B. jeden Dienstag Abend macht Mama mit einem Kind einen Spaziergang, jeden Donnerstag spielt Papa Gitarre mit der großen Tochter.

Neben diesen regelmäßigen Individualzeiten dürfen wir  nicht darauf vergessen, dass sich vieles nicht planen lässt. Manchmal sprudelt es plötzlich nur so raus mit Sorgen und Geschichten und da „braucht“ die Große einfach ein paar Minuten aktive Zuhörzeit der Mama.
Dann wieder braucht die Kleine genau jetzt die Hilfe von Papa, um das Puzzle fertig zu machen.  Das verstehen auch die Geschwisterkinder, wenn man ihnen erklärt, dass es nicht ungerecht ist, dass man 15 Minuten lang das Puzzle fertig macht. Alleine mit der Schwester.

Achtung – nicht in die Rechtfertigung abrutschen!

Sondern einfach sagen: „Für deine Schwester ist dieses Puzzle jetzt gerade wichtig. Dafür mache ich ein anderes Mal etwas nur mit dir.“

 

Geschwister sollten gleich und dennoch unterschiedlich erzogen werden

Eltern vermitteln idealerweise die selben Werte und schaffen die selben Chancen für alle Geschwisterkinder und dennoch wird es nie 100% gerecht sein.

Weil die Bedürfnisse und Interessen der Kinder unterschiedlich sind und das eine Hobby vielleicht mehr Zeit beansprucht als das andere oder das eine Kind mehr Unterstützung beim Lernen braucht als das andere. Was wir Eltern tun können, ist, auf jedes Kind so gut es geht einzugehen, bewusst Zeit mit ihm zu verbringen und seiner Individualität gerecht werden.  

Wir Eltern können es aushalten, dass ein Geschwisterkind einmal schimpft, weil es leer ausgeht.

Gleichzeitig bringen wir ihm auch bei, dass es Neid, Verlust  und Frust aushalten kann. Es lernt, auf den eigenen Geburtstag zu warten, wo es dann im Mittelpunkt steht und viele Geschenke bekommt.  Es lernt, dass es auch die Vorlieben der Schwester akzeptieren kann und das isst, was der Schwester besonders schmeckt. Auch weil Mama vielleicht schon am nächsten Tag das andere Lieblingsgericht kocht.


Und das Kind lernt auch, dass es nie ganz fair im Leben zugeht, trotz aller Versuche. Wir Eltern können den Kindern diese Botschaft auf annehmbare Art mitgeben.

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