Anders als gedacht: Naschboxen für Kinder (Teil 1/2)
„Manchmal verliert das, was nicht verboten ist, von ganz allein seinen Reiz.“
Das ist der Gedanke hinter meinem Experiment: Eine Naschbox pro Kind (7J + 10J), gefüllt für die ganze Woche, in der Hoffnung, dass sie lernen, sich Süßes selbst einzuteilen.
Als Familienberaterin weiß ich, dass hinter vielen Konflikten in Familien das kindliche Bedürfnis nach Selbstbestimmung steckt. Als Mutter weiß ich, dass nicht alles auch in der Praxis klappt. Ein ehrlicher Einblick in die Herausforderungen zwischen Naschfreuden und Selbstkontrolle im Familienalltag – und warum Theorie und Alltag manchmal weit auseinanderliegen.
Halloween liegt hinter uns, und wie jedes Jahr türmen sich bei uns Zuhause unglaubliche Menge an Süßigkeiten. Zuckerl, Schokolade und Gumminaschereien scheinen aus allen Ecken zu quellen und es ist wie immer ein Magnet für die Kinder, als würden sie sonst nie etwas bekommen.
In meinem Beruf begleite ich Eltern, Kinder, Familien, Pädagog:innen und ich weiß, dass es wichtig ist, Kindern ihre Selbstbestimmung zu lassen und ihnen gleichzeitig einen gesunden Umgang mit Süßigkeiten beizubringen. Theoretisch klingt es einfach: Man gibt ihnen eine gewisse Menge an Süßem, man verbietet es nicht oder kontrolliert zu viel, sie sollen selbst lernen, diese einzuteilen. Wenn man etwas nicht verbietet, dann verliert es an Reiz. Oder?
Seit etwa einem Jahr probiere ich daher folgendes aus: Jede Woche bekommt jedes Kind seine eigene „Naschbox“. Sie enthält genug Süßigkeiten und Knabbereien für die gesamte Woche und erlaubt ihnen, selbst zu entscheiden, wann und wie viel sie davon essen wollen.
(Nach der ersten Woche war es notwendig die erste Regel einzuführen: Keine Naschboxsachen mehr nach dem Zähne putzen.) In meiner Vorstellung sollte dieses System die Selbstkontrolle fördern, den Reiz der Naschereien etwas mildern und uns Eltern gleichzeitig die täglichen Entscheidungen ersparen, wann und was genascht werden darf.
Doch in der Praxis zeigt sich immer wieder: Theorie und Realität sind zwei verschiedene Welten.
Tag 1 – Der große Start
Der Montag beginnt vielversprechend. Die Kinder stürzen sich mit leuchtenden Augen auf ihre befüllten Boxen und wir reden nochmals darüber, dass der Inhalt bis zum nächsten Montag reichen sollte, sie wird vorher nicht wieder aufgefüllt. Sie haben nun die Freiheit, selbst zu entscheiden, wann sie sich etwas gönnen möchten. Es scheint, als hätten sie es verstanden und ich bin kurz stolz und zufrieden. Ich stelle mich aber auch darauf ein, dass es wohl einige Zeit dauern wird, dieses neue System zu etablieren und es vielleicht etwas dauert, bis ich erste Ergebnisse verzeichnen kann.
Tag 2 bis 4 – die Realität
Am Dienstagabend sehe ich schon, dass die Boxen deutlich leerer geworden sind. Ein kurzer Gedanke beschleicht mich: „Das reicht nie bis nächste Woche.“ Donnerstag dann der erste Schock: Die Naschbox von Kind A ist komplett leer und Kind B hat noch eine Ration, die niemals bis Sonntag reicht.
Ich schließe kurz die Augen und seufze. Es dauert nicht lange, bis nach dem Essen die Frage der Fragen kommt: „Mama, kann ich was naschen?“ Und da fängt das Dilemma an.
Als Familienberaterin weiß ich natürlich, dass es normal ist, wenn Kinder ihren Impulsen nachgeben. In mir kämpft die Theorie mit dem Alltag: „Soll ich bei meinem Plan bleiben oder nachgeben? Immerhin ist es ja die erste Woche. Ich habe noch ein paar Tage voller Frust über nicht vorhandene Süßigkeiten vor mir.“
Ich entscheide mich, bei der Idee zu bleiben, ihnen Verantwortung beizubringen und erkläre ruhig, dass es für die Woche nun nichts mehr gibt. Kurz schlägt mir der Irrglaube ins Gesicht, dass, wenn man etwas ruhig erklärt, auch ruhig geantwortet wird.
Nein, die Kinder sind enttäuscht und wütend darüber, dass es nichts mehr zu naschen gibt.
Tag 5 bis 7 – Das lange Warten
Die nächsten Tage ziehen sich für uns alle wie Kaugummi. Ständig werden wir Eltern gefragt: „Kann ich was naschen? Wieso nicht? Das ist so unfair, ihr dürft ja auch.“
Am Freitag ist mein Nervenkostüm schon etwas angeknackst, als ich bemerke, dass sie schon längst angefangen haben, das ganze Vorgehen auszutricksen. Die Freunde hatten beim Spielen draußen Chips und Schokolade dabei, in der Schule hat jemand Geburtstag gefeiert und hatte Muffins mit und am Wochenende gibt es bei Oma sowieso immer etwas Süßes.
Und ich frage mich langsam: „Bringt das ganze eigentlich was?“