Wie wir die furchtbaren Spielsachen unserer Töchter begleiten
Unser Weg von den eigenen Wunschvorstellungen hin zur Realität im Kinderzimmer.
Inmitten des Spielzeugmeeres unserer Kinder muss ich oftmals schmunzeln, wenn ich an meine Vorstellungen an das Kinderzimmer noch während der ersten Schwangerschaft zurückdenke.
Im Laufe meiner Ausbildung zur Kindergartenpädagogin und als jahrelange Babysitterin in vielen Familien, hatte ich mir gedanklich einen genauen Prinzipien-Katalog rundum Spielsachen erstellt und ich war mir sicher: ich werde alles anders machen und zwar einfach perfekt!
Wie ich mir das eigentlich vorgestellt habe
Natürlich alles genderneutral in Regenbogenfarben!
Großteils Holzspielsachen, aber selbstverständlich unlackiert und mit hochwertigen, unbedenklichen Ölen behandelt. Niedliche, textile Gestalten würden die zur vollen Kreativität anregenden Bauklötze ergänzen. Wenn schon nicht selbst genäht, dann zumindest Figuren mit Handmade-Charakter, jedoch mit keinen überzeichneten Gesichtsausdrücken, sodass à la Waldorf noch genügend Freiraum für das kindliche, phantasievolle Spiel bleibt. Doch was passierte dann?
Hoppla, wir haben ein selbstbestimmtes Kind!
Wild, frei und selbstbestimmt soll sie sein, dachte ich mir mit dem Ultraschallbild unserer ersten Tochter in der Hand. So ist sie nun auch und das ist natürlich auch ganz wunderbar, allerdings musste ich im nächsten Schritt erst lernen, dass Selbstbestimmtheit auch bedeutet, dass sie ihre ganz eigenen Vorstellungen bei uns einziehen lässt…
Vorstellungen, die außerhalb unseres Vorstellungsbereiches liegen.
Während sich die Omas und Opas an unsere genauen Vorgaben hielten, war für unsere Tochter sämtliches Plastikspielzeug, am besten noch mit Sound-Effekten, Kuscheltiere aus schrill glitzernder Kunstfaser, und überschlanke Puppen mit riesigen Augen, ein magischer Anziehungspunkt. Egal, ob sie im Zug ein anderes Kind damit spielen sah oder wir an einer Auslage vorbeispiazierten…die Holzrassel wurde sofort fallen gelassen uns es war klar, was das Objekt der Begierde war.
Auch wir Eltern sind lernfähig
Unsere Tochter musste nicht warten, bis sie von ihrer kleinen Schwester Verstärkung bekam. Wir haben schnell eingesehen, dass es zwecklos ist, krampfhaft zu versuchen, Spielsachen von ihr weg zu halten, die somit nur noch interessanter für sie wurden. Seither überlegen wir uns bei jedem neuen Spielzeugtrend, der jeweils eine Zeit lang dominiert, viel mehr, wie wir die Kinder dabei begleiten können, um selbst einen reflektierten Blick darauf zu bekommen.
#1. Barbies
Als mich unsere Kinder einen Tag nach der Geburt unserer jüngsten Tochter im Krankenhaus besuchen, fragt unsere älteste Tochter: „Warum bist du denn noch so dick? Das Baby ist doch schon da!“
Sie stellte sich ihre schwangere Barbiepuppe vor, die, wie alle anderen Barbies, hauchdünn ist und durch Umklappen der Bauchdecke das Baby zur Welt bringt. Ist das Baby draußen, ist der Bauch auch wieder flach. Es ist natürlich nicht notwendig, ein Geschwisterchen zur Welt zu bringen, um die Figuren mit Kindern kritisch zu beleuchten.
Anstatt sich Sorgen zu machen, das Schönheitsideal der Kinder könnte von den Plastikpuppen geprägt werden, eignen sich die seit Generationen beliebten Figuren, um über Körperproportionen zu sprechen:
„Kann man so denn überhaupt stehen?“, „Wo haben denn da die Organe Platz?“, „Oh nein, die ist ja viel zu dünn!“ sind beispielsweise Kommentare, die das gemeinsame Spiel begleiten können.
Mittlerweile gibt es zumindest auch Barbies auf dem Markt, die immerhin schon überlebensfähig aussehen. Auch diese sind schlank und entsprechen nicht der durchschnittlichen Konfektionsgröße von Frauen, aber sie eignen sich schon für einen Vergleich mit der herkömmlichen Barbie. Wir haben auf Flohmärkten gezielt nach Strickmode für Barbies gesucht, damit auch die Barbies mit realistischeren Proportionen, etwas Abwechslung im Kleiderschrank haben.
Barbies eignen sich auch gut für die ersten Mode-Experimente: Aussortierte Socken und Strumpfhosen können durch wenige Einschnitte bestens zu Barbie-Kleidung verarbeitet werden und regen die Kreativität der Kinder an. Auch mit Taschentüchern und Klopapier lassen sich Kleider für eine Barbie-Modenschau gestalten, sodass die Kinder einen spielerischen Zugang zu Modedesign bekommen.
#2. L.O.L.s
Der Einzug dieser Wesen mit monsterartigen Augen, Körper in Babyproportionen mit sexuell andeuteten Attributen war ein regelrechter Schock. Bei einer Freundin entdeckt, hat unsere Tochter ihre erste selbst erspart und dann die Sammlung mit einem Flohmarktfund explosionsartig erweitert. Wie gerne hätten wir die ganze Bande verschwinden lassen, aber mit unseren Überredungsversuchen ging unsere Tochter nur noch mehr in Verteidigungsposition ihrer Schätze.
Wir suchten also auch hier nach einem passenden Umgang damit.
Bei den L.O.L-Figuren handelt es sich um Baby- bzw. Kleinkindkörper, die neben ihrem Schnuller jedoch mit stark sexualisierten Kleidungsstücken wie Reizunterwäsche, usw. versehen werden. Unsere Tochter hat Spaß daran, sie umzuziehen, mag die glitzernden Haare und Accessoires in schrillen Farben. Beim Spiel versuchen wir über Körperkult zu sprechen, Schönheitsideale und Inszenierungen kritisch zu hinterfragen. Wir stellen klar, dass es sich bei den Puppen um Fantasie-Figuren handelt und es ja furchtbar sein müsste, wenn man in echt so unbequeme Sachen anhätte. Als Unterstützung haben wir uns Bücher zugelegt, die realistische Körperabbildungen zeigen und Body Positivity stärkend wirken, zum anderen bedienen wir uns gerne an Fragen, die auch zur Prävention sexueller Gewalt empfohlen werden. Wir sprechen darüber, wem man sich in Unterwäsche zeigt, wann es sich okay anfühlt, wann nicht. Es gibt eine tolle Auswahl an Literatur, die dafür sehr hilfreich ist:
- Das bunt gestaltete Bilderbuch „Körper sind toll!“ von Tyler Feder und Cornelia Boese soll durch Selbstakzeptanz das Selbstbewusstsein von Kindern stärken.
- "Wie siehst du denn aus? Warum es normal nicht gibt!“ von Sonja Eismann zeigt in Aquarellillustrationen Körper in ihren Unvollkommenheiten und Liebenswürdigkeiten.
- „Ist das okay?“ ist ein Kinderfachbuch zur Prävention von sexualisierter Gewalt von Agata Savoyer und Anna-Lina Balke
#3. Prinzessinnen in allen Variationen
Die Prinzessinnen-Sammlung unserer Töchter prägt oftmals ihr Verhalten.
Sie nehmen ähnliche Posen ein, ziehen sich wie Prinzessinnen aus Kinderfilmen an und erklären jedes herrschaftliche Verhalten mit der Begründung, dass sie doch Prinzessinnen seien. Da helfen Bücher wie „Was macht die Prinzessin?“ Aus der Wieso? Weshalb? Warum?-Serie, um einen realistischen Einblick in das Leben einer Prinzessin zu bekommen und verstehen zu lernen, was das Prinzessinnen-Dasein bedeutet. Auch die Checker Tobi-Reportage für Kinder „Der Prinzessinnen-Check“ gibt einen genauen Einblick.
Es ist schön, wenn die Kinder Spaß am Verkleiden haben und natürlich dürfen sie sich im Rollenspiel austoben, aber es braucht auch immer wieder die Klarheit, dass man mit der Verkleidung in eine Rolle schlüpft und diese mit dem Kleid wieder ablegt. Und so toll Prinzessinnen auch sind, begrüßen wir danach mit voller Freude wieder unser Kind, das sich hinter dem Kleid versteckt hat.
Was wir nun wissen
Es gibt Spielsachen, die sind an sich so pädagogisch konzipiert und durchdacht, dass die Kinder auch ohne Begleitung bestens damit spielen und sich dabei positiv weiterentwickeln können. Es gibt aber auch Spielsachen, die mehr Begleitung brauchen, um keinen Schaden anzurichten und im besten Fall einen positiven Effekt bei den Kindern zu erzielen. Wenn man sich wie wir für den Weg entscheidet, weitgehend die Kinder selbst das Spielzeug auszusuchen, braucht es also immer mal wieder eine Auseinandersetzung damit, wie die Kinder im Umgang mit ihren Dingen unterstützt werden können.