Wenn Kinder nicht verlieren können

Wer kennt sie nicht? Die fröhlichen, gemütlichen Spielenachmittage, die mit einem Schlag ungemütlich werden: Weinende Verlierer, wutschreiende, stampfende, streitende Kinder, vom Tisch fliegende Spielfiguren – ein Chaos aus Fassungslosigkeit.

Eltern sind in solchen Situationen oft ähnlich hilflos wie ihre Kinder. Entsetzt darüber, dass unser Kind „nicht verlieren kann“, versuchen wir dies mit allen Mitteln zu ändern. Wenn aber alles nichts hilft, reagieren wir schon mal gereizt, schimpfen, drohen und haben letztlich ein schlechtes Gewissen.

Dass kleine Kinder „nicht verlieren können“ ist ganz normal und sollte von uns gar nicht vorausgesetzt werden.

Warum aber sind mache Kinder „schlechte Verlierer“ und was steckt dahinter? Letzte Woche haben wir uns schon damit beschäftigt, dass Regelspiele erst Sinn machen, wenn Kinder über eine gewisse Gruppenfähigkeit und ein Regelverständnis verfügen. Dass kleine Kinder „nicht verlieren können“ ist ganz normal und sollte von uns gar nicht vorausgesetzt werden. Bevor ein Mensch sogenannte „Frustrationstoleranz“ ausbilden kann, müssen sowohl körperliche Reifungsprozesse als auch Lernerfahrungen den Grundstein legen.

Wut oder Liebe?

Der kanadische Bindungsforscher und Entwicklungspsychologe Gordon Neufeld bringt die Entwicklung des präfrontalen Kortex in Verbindung mit der Fähigkeit des kompetenten Umgangs mit gemischten Gefühlen. Frühestens ab dem Alter von fünf Jahren besitzt das menschliche Gehirn eine Ausreifung, die den Umgang mit widersprüchlichen Gefühlen ermöglicht. Vorher kann unser/e „schlechter Verlierer/in“ die zwei Gefühle Wut „Ich habe gegen meine Schwester verloren“ und Liebe „Aber eigentlich mag ich meine Schwester gerne und ich möchte mit ihr weiterspielen“ nicht unter einen Hut bringen – da ist jetzt nur für Platz für Wut. Auch im spannenden Feld der Mentalisierungsforschung gilt die Zeit um den vierten/fünften Geburtstag als bedeutsam. So können die meisten Kinder in diesem Alter „mentalisieren“ und damit eigene Emotionen regulieren und die Welt nicht nur aus ihrer Position, sondern auch ein klein wenig aus anderen Blickpunkten heraus betrachten.

Unerfüllbare Erwartungen

Im Alltag setzen wir aber häufig schon bei Zwei- oder Dreijährigen Selbstbeherrschung, Empathie und oft sogar Einsichtsvermögen voraus. Von ihrer Entwicklung her, sind sie damit aber restlos überfordert – sie können unsere Erwartungen schlichtweg nicht erfüllen. Und auch wenn die Grundvoraussetzungen dann gegeben sind, müssen Kinder erstmal Erfahrungen sammeln, bevor sie mit Frust in einer sozialverträglichen Art umgehen können.

Diese Lernerfahrungen im Erziehungsalltag zu ermöglichen, ist unsere große Chance, damit unsere Kinder:

  • ihre Gefühle wahrnehmen und nicht vor sich selbst und anderen verstecken müssen
  • wissen, wie sie ihre Gefühle in gesunder Weise regulieren können Wer in dieser Art emotional kompetent ist, verurteilt sich nicht, wenn er sich wütend, traurig, einsam … fühlt, sondern kann zu seinen Gefühlen stehen und Wege finden die gut tun.

Wie wir unsere kleinen Wüteriche in ihrer emotionalen Entwicklung unterstützen können, was wir also konkret tun können, damit in Zukunft nicht mehr das Spielbrett durchs Zimmer fliegt, schauen wir uns nächste Woche im Beitrag „Umgang mit kleinen Wüterichen – Emotionale Kompetenzen stärken“ an – sei dabei.

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Ein Artikel von

Portraitfoto Iris Van den Hoeven

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