Mit Kindern über den Zeitgeist reden
Die „Ice Bucket Challenge“ inspirierte mir vor kurzem, philosophisch und kulturgeschichtlich weit auszuholen. Leider stieß ich auf wegen Gegenliebe. Woran lag es?
Um diese Einleitung zu erklären, muss ich ebenfalls kurz ein wenig – hoffentlich nicht allzu weit – ausholen. Neulich kam meine Tochter (13 Jahre alt) mit ihrer gleichaltrigen Freundin aus der Schule zu uns nach Hause. Ich wusste: Etwas ist im Busch, da es mitten unter der Woche war und sie normalerweise an solchen Tagen nicht zu diesem Zeitpunkt Freundinnen mit nach Hause bringt.
Die Antwort war schnell gefunden: Sie hatten geplant, die „Ice-Bucket-Challenge“ zu machen! Wir erinnern uns: Das war bereits vor einigen Jahren ein Social-Media-Trend, bei dem sich Menschen für einen guten Zweck einen Kübel mit eiskaltem Wasser inklusive Eiswürfel selbst über den Kopf schütteten. Dieser Trend, so glaubte man, wäre damit zwar in die Annalen der Social-Media-Geschichtsschreibung eingegangen, aber insgesamt für immer in der wohlverdienten Versenkung der gelebten Praxis verschwunden.
Pustekuchen. Der Trend kam wieder.
Für mich völlig überraschend, da ich den Verlauf der aktuellen Trends kaum mehr verfolge. Mir ist das alles viel zu schnell, kurzleben und willkürlich geworden. Doch das ist wieder eine andere Geschichte, um die es hier ohnehin nicht gehen soll. Sondern es geht um etwas Anderes, womit sich der Kreis schließen soll und ich zum eigentlichen Thema kommen will: Die Philosophie, die Analyse des Zeitgeistes, das Gespräch mit den eigenen Kindern, das tiefer geht als Gespräch über Schule & Co.
Lange Rede kurzer Sinn. Diese Wiederkehr des alten Social-Media-Trends veranlasste mich dazu, von der „ewigen Wiederkunft“ zu sprechen. Womit ich mitten bei der Philosophie von Friedrich Nietzsche gelandet war. Von da aus war es nicht weit zur Philosophie und Theorie der Postmoderne. In dieser, so dozierte ich, ginge man vom „Ende der großen Erzählung“ und mithin vom Ende der Geschichte aus.
Die Geschichte ist nicht mehr Fortschreitung, sondern sie dreht sich gewissermaßen im Kreis.
Alles existiert gleichzeitig, es geht drunter und drüber und somit ist auch alles jederzeit immer möglich.
Soll heißen: Dass die Ice-Bucket-Challenge wiederkommt, lässt sich eigentlich nur vor dem Hintergrund der Postmoderne erklären. Everything goes, alles ist immer und jederzeit grundsätzlich möglich und denkbar, die Chronologie ist durchbrochen und die Klimax der Geschichtsschreibung, nach der wir uns laufend fortbewegen und gewissermaßen immer klüger werden, sowieso.
Seit geraumer Zeit ist es anders: Wir bewegen uns nicht fort, sondern bewegen uns in einem Dickicht von Verweisen, in unendlichen Möglichkeitsräumen, deren Gesetzmäßigkeit man nur schwer rational fassen kann und man gewissermaßen davon sprechen könnte, dass es auch Zufälle und Willkür gibt.
Womit wir wieder bei Social-Media und bei besagtem Phänomen sind, dem meine Tochter und deren Freundin sozusagen auf dem Leim gegangen sind. Und das, ohne überhaupt etwas von dem zu ahnen oder zu wissen, was ich ihnen vermitteln wollte.
Die Reaktion, wie bereits angedeutet: Verständnislose Blicke.
Ein wenig die Aussage zwischen den Zeilen: Jetzt spinnt er wieder, der Papa. Gewissermaßen war ich also gescheitert im Versuch, ein wenig – aus meiner Sicht notwendige - Theorie in die schnöde Praxis des oft geschichtsvergessenen Social-Media-Alltags zu bringen. Doch wie hätte ich es besser machen können?
Immerhin: Ich knüpfte bei einem Phänomen an, das die Mädels kannten. Das ist an sich meiner Meinung nach der richtige Ansatz zum sogenannten Philosophieren mit Kindern. Dann waren meine Thesen wohl zu steil, meine Ausführungen zu abstrakt.
Heißt also: Auch Philosophie in der Praxis muss sich vom kleinsten gemeinsamen Nenner hocharbeiten. Selbstverständlich wussten die beiden nämlich nichts von der Postmoderne und auch Nietzsche war ihnen freilich kein Begriff.
Daraus habe ich gelernt. Ich werde an mir arbeiten.
Aber womöglich sind auch ein wenig die Schulen in der Pflicht, Kinder auf solche Themen vorzubereiten und – natürlich nur im passenden Alter – nicht geschichtsvergessen zu agieren und sich nicht nur oberflächlich an der Gegenwart abzuarbeiten.