Gutes Zeugnis – schlechtes Zeugnis? So können Eltern auf die Noten ihres Kindes reagieren
Als ich klein war, lud das Sportfachgeschäft in meiner Heimatstadt am Zeugnistag alle Kinder ein, sich ein kleines Give-away zu holen. Jedenfalls fast alle. Wer fünf Einser vorweisen konnte – oder einen Fünfer – bekam eine Kappe, einen Schlüsselanhänger oder ein Frisbee mit dem Geschäftslogo geschenkt. Wie nett, dachte ich damals, dass auch die schlechten Schüler nicht leer ausgehen. Meine Schwester und ich pilgerten zuerst ins Sportgeschäft und kassierten danach bei den Omas noch Zeugnisgeld ab.
Der letzte Schultag, für uns war das ein höchst erfreulicher Tag.
Heute habe ich selbst Kinder, die mir am Schuljahresende mit dem Zeugnis in der Hand aus der Schule entgegenlaufen – und ich denke viel darüber nach, wie ich am besten auf die Noten reagieren kann, die sie von ihren Lehrern bekommen haben.
Zwei Dinge sind mir dabei wichtig: Unabhängig von ihrer schulischen Leistung sollen sich die Kinder geliebt fühlen – eh klar. Und: Ich möchte sie inspirieren, immer aus sich heraus zu lernen. Intrinsische Motivation statt Druck von außen.
Noten sind subjektiv und wenig vergleichbar
Wie aber sieht eine angemessene Reaktion auf Schulnoten aus – sei es bei Schularbeiten oder Tests während des Jahres oder beim Zeugnis? Inwieweit sollen Eltern ihre eigene Enttäuschung dem Kind gegenüber äußern? Müssen Kind und Eltern Trübsal blasend in die Ferien starten, wenn das Zeugnis schlecht ausgefallen ist? Und bei guten Noten: Welche Belohnungen sind sinnvoll?
Zuerst einmal sollte man sich vor Augen führen, dass Noten, insbesondere auf einzelne Tests oder Prüfungen, eine Momentaufnahme sind. Man kennt das: An einem schlechten Tag performt man schlecht, an einem guten Tag besser.
Noten erwecken zwar den Anschein objektiv und vergleichbar zu sein. Das sind sie aber nicht.
Studien zeigen, dass sie sich viel weniger als Vergleichstool eignen, als man annehmen könnte. Auch das wissen die meisten aus eigener Erfahrung: Einen Einser bei der einen Lehrerin musste man sich schwer verdienen, während ein anderer Lehrer viel weniger Anforderungen stellt. Und das, obwohl gesetzlich eigentlich geregelt ist, wie Leistungen aussehen müssen, damit sie mit der besten Note bewertet werden können, nämlich ‚sehr gut‘. Das bedeutet unter anderem, Anforderungen müssen „in weit über das Wesentliche hinausgehendem Ausmaß erfüllt“ werden.
Noten als ‚Notlösung‘
Wahrscheinlich sind Noten nicht viel mehr als eine ‚Notlösung‘. Nicht das Gelbe vom Ei, aber letztlich ein Instrument, auf das man flächendeckend nicht verzichten möchte.
Ein guter Umgang mit ihnen könnte so aussehen:
- Bedingungslos lieben. Gibt es tatsächlich Eltern, die ihrem Kind die Liebe entziehen, wenn es schlechte Noten hat? Wohl kaum. Was aber vorkommt: Tiefe zum Ausdruck gebrachte Enttäuschung, ein verächtliches Augenrollen oder strafendes Schweigen als Reaktion aufs Zeugnis können einem Kind vermitteln, dass es nicht ganz angenommen ist. Sicher, Eltern dürfen ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck bringen – sie sollten sich aber davor hüten, ihr Kind über seine Leistung zu definieren.
Das gilt übrigens auch für die sehr guten Schüler: Auch einem Einser-Kind sollte man unmissverständlich klar machen: Wir freuen uns über deine guten Noten, aber du bist in unseren Augen viel mehr als jeder Erfolg in der Schule. - Die Anstrengung betonen, nicht das Talent. Das ist einer meiner liebsten Grundsätze, die ich versuche umzusetzen. Inspiriert wurde ich von der amerikanischen Psychologin und Mindset-Expertin Carol Dweck. Sie stellte fest: Betont man immer wieder, wie talentiert ein Kind ist, spornt das das Kind nicht an, sich auch in Zukunft reinzuhängen. Zu hören, man sei ein Mathegenie oder besonders begabt in Englisch, motiviert eher nicht, sich anzustrengen. Im Gegenteil! Carol Dweck empfiehlt deshalb, immer die Mühe und Anstrengungen zu betonen – und das unabhängig davon, ob jemand ein besonderes Talent hat oder nicht. Also nicht sagen: ‚Gratuliere zum Einser in Latein, du bist halt ein Sprachengenie!‘ Sondern: ‚Gratuliere! Man sieht, das Lernen hat sich ausgezahlt!‘ So verinnerlichen Kinder, dass es sich lohnt, sich anzustrengen und auch mal durchzubeißen, wenn man nicht motiviert ist.
- Immer den persönlichen Fortschritt würdigen. Eine Note sagt wenig über den individuellen Lernfortschritt aus, den ein Kind gemacht hat. Hinter einem Dreier kann sehr viel mehr Mühe stecken als hinter einem Einser, wenn das Kind sich angestrengt und in der Note möglicherweise sogar verbessert hat. Das muss gewürdigt werden.
- Geschwister nicht vergleichen. Geschwister bringen unterschiedliche Leistungen und sollten nicht miteinander verglichen werden. Denn Vergleichen fördert die Rivalität zwischen Geschwistern. Jedes Kind hat eine individuelle Rückmeldung verdient. Am Zeugnistag kann man sich dafür einen Augenblick mit jedem Kind alleine in Ruhe nehmen.
- Den Schulschluss feiern. Auf jeden Fall. Unabhängig davon wie das Zeugnis ausgefallen ist, am letzten Schultag darf gefeiert werden. Wir starten deshalb mit einem gemeinsamen Essen in der Pizzeria in die Ferien. Und wenn das Zeugnis keinen Grund zur Freude gibt? Dann kann man sich zumindest freuen, dass man das Schuljahr überlebt hat und sich wenigstens für ein paar Wochen keinen Lernstress machen muss.
- Erholung muss sein. Eine Nachprüfung steht ins Haus? Wissenslücken müssen aufgefüllt werden? Raum für Erholung und Ferienspaß muss es trotzdem geben. Nach dem Schulschluss also erst einmal runterkommen, die Schulsachen verräumen und dann gemeinsam einen Schlachtplan überlegen: Wann startet das Lernen? Welche Unterstützung braucht das Kind? Muss Nachhilfe organisiert werden?
- Belohnen? Eigentlich ist doch die gute Note Belohnung genug, oder? Wir verzichten auf Belohnungen à la 10 Euro für jeden Einser, weil das erst recht wieder die Fixierung auf die Noten fördert. Und die sind, wie wir wissen, ein eher mittelmäßiges Tool, um Leistung zu bewerten.