„Erziehung ist (k)ein Kinderspiel!“ – Geschwisterstreit: „Du blöder Thomas!“

Wie schaffen wir es, schlechtes Verhalten zu korrigieren, ohne unbeabsichtigt ein Kind in die Rolle des Bösen hineinzudrängen?

Tamara (7) beschimpft ihren kleinen Bruder Thomas (4), weil er nicht beim Einräumen hilft. Der Papa, genervt: „Wie oft soll ich dir sagen, dass du so nicht mit deinem Bruder reden sollst!“ Tamara, bockig: „Der ist so blöd. Immer drückt er sich vor der Arbeit!“. Vater: „Ja, aber…“

Das Gespräch endet in der Sackgasse. Tamara wird zunehmend kratzbürstig und ihrem Bruder gegenüber intolerant und feindselig. Sie ist im Begriff, die Rolle der „Bösen“ in der Familie zu übernehmen, obwohl das sicher keiner will. Sie bräuchte sich doch nur an gewisse Regeln halten! Die Eltern verlangen ja nichts Ungewöhnliches von ihr, nur dass sie sich „normal“ benimmt.

Wie negative Rollenmuster entstehen…

Keine Frage, Eltern müssen dafür sorgen, dass Kinder einander nicht beschimpfen. Doch wird der Kleine angegriffen, nehmen sie ihn automatisch in Schutz und stellen sich gegen die Angreiferin, obwohl sie ein berechtigtes Anliegen hat.

Dadurch fühlt sich Tamara von ihren Eltern verraten und es entsteht in ihr ein innerer Groll. Der kleine Bruder wiederum fühlt sich bestärkt und sieht erst recht keinen Anlass, auf seine Schwester zu hören. Er lernt, wie man sich erfolgreich vor der Arbeit drücken und Papas Liebling werden kann. Bei beiden Kindern können sich durch solche Situationen schlechte Charaktereigenschaften bilden.

… und wie man sie durchbricht

Was tun? Statt Tamara gleich zu maßregeln, muss sie sich zuerst verstanden fühlen. Beschreiben Sie, ohne zu bewerten, was Sie wahrnehmen – anders gesagt: Bringen Sie, ohne zu bewerten auf den Punkt, worum es geht: „Du ärgerst dich, weil dir dein kleiner Bruder nicht beim Einräumen hilft.“ Dadurch fühlt sich Tamara erleichtert, ernst genommen und wertgeschätzt. Wenn Sie die Vorgeschichte nicht beobachtet haben: „Kannst du mir sagen, was dich so schrecklich nervt?“ Die Eltern akzeptieren, dass sie einen berechtigten Ärger hat. Bei einer solchen Reaktion spürt Tamara das Verständnis ihrer Eltern und fühlt sich erleichtert. Geben Sie ihr Gelegenheit, ihren ganzen Frust abzuladen, egal, ob sie Recht hat oder nicht.

Seien Sie sicher: Das dauert nicht länger als 1-2 Minuten, aber es wirkt – insbesondere, wenn Sie weiterhin einfühlsam bleiben, das heißt, Tamaras Gefühle akzeptieren, oder einfach nur zur Kenntnis nehmen, was sie sagt, statt gleich mit „Ja, aber…“ zu reagieren. Das könnte sich z.B. so anhören: „Es ärgert dich, dass er nie auf dich hört und du fühlst dich dann immer als die Blöde, wenn du für ihn einräumen musst…“  Nun fühlt sich Tamara ein zweites Mal entlastet.

#Eindeutig Stellung beziehen: Sie haben das Mädchen nun in die Bereitschaft versetzt, Ihnen zuzuhören, wenn Sie sagen: „Trotzdem ist es nicht OK, wenn du deinen Bruder beschimpfst. Komm, wir reden mit ihm.“

#Lösung/Unterstützung anbieten: Jetzt sind Sie an der Reihe, ein „ernstes Wort“ mit klein Thomas zu führen. „Du Thomas, du weißt, dass ihr vor dem Abendessen einräumen sollt. Deine Schwester ärgert sich, dass du nicht mithilfst und nicht auf sie hörst.“  Nun wird er eine „faule Ausrede“ finden oder ein verschmitztes Lächeln „aufsetzen“. Auch Thomas hat Anspruch auf Verständnis seitens des Vaters. Je nachdem könnte seine Reaktion sein: „Es macht dir heute keinen Spaß, mitzuhelfen…“ „Du findest, dass dich Tamara zu viel kommandiert….“ 

Kindern beim Verhandeln helfen

Der nächste Schritt muss sein, den Kindern beim Verhandeln zu helfen, um eine Lösung zu finden, oder auf getroffene Vereinbarungen hinzuweisen. Es ist durchaus hilfreich, die Position des älteren Kindes zu stärken: „Thomas, du musst auf deine große Schwester hören, wenn sie dich ans Einräumen erinnert.

Dann muss sie nicht böse werden, denn eigentlich hat sie dich ja lieb. Du doch auch?!“ (Es kann nicht schaden, ein wenig suggestiv das Verbindende zu betonen).

Kindliches Geltungsbedürfnis in geordnete Bahnen lenken

Umgekehrt müssen Eltern auch darüber wachen, dass große Geschwister nicht aus Geltungsbedürfnis heraus die Rolle des Haustyrannen den Kleineren gegenüber übernehmen. Das könnte sich so anhören: „Tamara, ich finde es schön, dass du so gewissenhaft auf Ordnung schaust. Aber Schimpfen ist keine Lösung. Überlegen wir einmal, wie du deinen Bruder motivieren kannst. Wenn er dann noch immer nicht hört, komm zu uns und wir helfen dir.“

Die Geschwisterfolge bei Rechten und Pflichten beachten und Machtmissbrauch entgegen wirken

Eltern müssen darauf achten, dass ältere Geschwister nicht nur mehr Pflichten, sondern auch mehr Rechte haben, aber auch, dass es zu keinem Machtmissbrauch kommt. Das gelingt nur, wenn sie sich verstanden und ernst genommen fühlen. Das ist immer der springende Punkt. Ist es nicht bei uns Erwachsenen genauso? 

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Ein Artikel von

Portraitfoto Maria Neuberger-Schmidt

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