Der Familientisch - Werkbank der Erziehung
Was sich am Esstisch alles abspielt und wie die hier gemeinsam verbrachte Zeit uns prägt, war mir lange nicht ganz bewusst. Heute fällt mir eigentlich kein anderer Ort in der Familie ein, an dem Gemeinschaft, Beziehungen, das Familienleben so regelmäßig und konzentriert stattfinden.
Herzstück des Familienlebens
Der Ess- bzw. Familientisch ist für die meisten Familien ein zentraler Ort, den man mit einem Arbeitstisch oder einer Werkbank vergleichen könnte. Auf einer Werkbank wird gearbeitet, auf ihr entstehen schöne, wertvolle, brauchbare, hilfreiche und notwendige Dinge. Sie entstehen und sind nicht schon automatisch da.
Es fallen Späne, es wird gehobelt, gebohrt, geschliffen und gesägt, gegossen, geformt, probiert, entworfen, verworfen, verschnitten, getestet, verschwendet, aufgeräumt und neu begonnen.
Ein Ort für alle - und für alles
Ähnlich der Familientisch, der Ort, an dem nach dem Bett in der Familie wahrscheinlich die meiste Zeit verbracht wird. Er ist nicht nur Lebensmittel-Punkt, sondern auch Lebens-Mittelpunkt. Er ist neben den Mahlzeiten bestens geeignet für Hausaufgaben, zum Zeichnen, Basteln, Spielen, zum Studieren, Lesen, Erzählen, zum Musizieren, zum Streiten, Reden, Lachen, Weinen, Trauern, zum Scherzen oder Ätzen, zum Diskutieren und Lamentieren, zum Überlegen, Besprechen, Planen, Entwerfen, Unterschreiben, zum Bügeln, Kochen, Nähen, zum Schweigen, Zuhören und zum Kennenlernen, zum Beten und manchmal auch zum Schlafen.
Der Heilige Josefmaria hat das Bett so treffend als Altar der Ehe bezeichnet. Könnte man den Familientisch nicht als Altar der Familie bezeichnen?
An diesem Ort haben Eltern wie Kinder Gelegenheit, ihr Menschsein in so vielen Schattierungen zu leben. Hier wird sozusagen alles auf den Tisch gelegt, hier kommt zu Tage, wie wir alle ticken, wird Selbstbeherrschung geübt, rasten wir in den beiden konträren Bedeutungen aus oder leben wir Mitgefühl, Hilfsbereitschaft usw…. Hier werden Fertigkeiten und viele Tugenden geübt und gelernt und Herzen gebildet.
Kleine Gewohnheiten - große Wirkung
Als große Familie mussten wir es uns aus Selbsterhaltungstrieb zur Gewohnheit machen, mit dem Essen erst zu beginnen, nachdem alle etwas am Teller haben.
Die Folge: Alle – uns Eltern eingeschlossen – müssen warten und Rücksicht nehmen lernen. Also doch keine sinnlose Regel guter Tischmanieren. Außerdem erübrigt sich die Hierarchie der Essensausgabe, wenn alle warten müssen.
Wenn das Essen heiß ist, werden die Kleinen zuerst bedient, damit es auskühlen kann.
Ein paar praktische Überlegungen
Hier haben wir ein paar Überlegungen gesammelt, was die Stimmung am Esstisch eventuell heben könnte:
- Ist unser Tisch Ablage für Dinge, die wir momentan nicht wegwerfen, aber auch nirgends einsortieren wollen? Liegen diese Dinge oft sehr lange drauf? Wir haben es gerne, wenn die Tischplatte zumindest einmal am Tag ganz ordentlich anzublicken ist. Der Feierabend lässt sich ohne Restbestände, die an Arbeit und Schule erinnern, einfach besser genießen.
- Ein schön gedeckter Tisch trägt sehr zur guten Stimmung bei!
- Nach Möglichkeit könnte der Tisch an einem zentralen Ort als echtes Schmuckstück stehen.
- Schrammen und Bemalungen wird er auf jeden Fall abbekommen, das sollte mich nicht ärgern!
- Uns sind schöne Lampen mit gutem Licht sehr wichtig (Ich habe sie nach langem endlich montiert!)
- Ein kleiner Blickfang mit Tischtuch, Kerze bzw. Kerzenständer oder Blumen kann optische Wunder wirken, meint meine Frau. Sie hat Recht.
- Wir haben zwischendurch gerne einmal eine saubere Tischplatte, zumindest vor und nach dem Essen.
- Eine gute Sitzgelegenheit rundherum darf natürlich auch nicht fehlen.
- Wie oft und wann sollten wir uns gemeinsam um den Tisch versammeln?
- Welche Kultur am Tisch wollen wir pflegen bzw. sollten wir wiedereinführen?
- Was dürfen wir uns bei den Malzeiten, vor allem mit kleineren Kindern am Tisch, nicht erwarten? Harmonie und Frieden, Erholung oder gar Entspannung, gesittete Zustände, Stille. Wir dürfen uns aber freuen, wenn es gelingt.
Fazit
Der Tisch ist weit mehr als eine Werkbank.
Wenn wir am Tisch zusammen kommen, geht es nicht nur um das Essen, um Gläser, Teller, Speisen oder sonstigen Kleinkram. Es geht um die Menschen - um das Gefühl der Zugehörigkeit und um das Teilen des Lebens. Letztendlich geht es um das höchste Gut: die Liebe. Der Familientisch wird so zum sichtbaren Ausdruck einer unsichtbaren Kraft, die uns verbindet und trägt.
Es lohnt sich, diesen Ort achtsam zu pflegen – nicht nur, weil dort gegessen wird, sondern weil dort das Leben selbst seinen Platz findet.