Zwischen Pflicht und Liebe – Die Balance in der Ehe finden
Liebe und Vereinbarung - zwei Seiten einer Partnerschaft, mit denen man bewusst umgehen muss. Ein Gespräch mit Mag. Stefan Dörrer, systemischer Organisationsberater und Coach, (Lehr-) Trainer und Psychotherapeut. Er ist seit 33 Jahren verheiratet und Vater von drei Kindern.
Sobald eine Liebesbeziehung in eine Partnerschaft oder Ehe mündet, birgt dies den ersten Widerspruch in sich. Denn in einer Partnerschaft/Ehe gibt es Regeln und „vertragliche“ Vereinbarungen. Diese können sehr bewusst vereinbart werden, wie dies z. B. bei einem Ehevertrag geschieht oder unbewusst wirken. Ich darf/muss mich darauf verlassen können, dass meine Partnerin,/mein Partner, diese Abmachungen einhält. In diesem Sinne steht es mir auch zu, diese „einzufordern“. Doch Liebe kann ich weder beanspruchen noch abverlangen, denn sobald ich dies versuche, geht die Liebe verloren. Es gilt mit diesen beiden Qualitäten – Liebe und Vereinbarung – bewusst umzugehen.
In der Paarbeziehung geht es darum, mit diesen unvereinbar erscheinenden Wirklichkeiten „zu jonglieren“.
Zum Beispiel wird es am Montagmorgen nicht um die Liebesbeziehung gehen, sondern um das Einhalten der Vereinbarungen, wenn es darum geht, wer die Kinder in die Schule bringt. Dennoch braucht es Momente, in denen die Liebesbeziehung im Vordergrund der Aufmerksamkeit steht. Zeiten, in denen wir diese aus dem Abstellschrank des Alltags holen und beleben, indem wir ihr Raum und Zeit schenken. Momente, in denen es um die absichtslose, bewusste Zuwendung zum Partner,/zur Partnerin geht.
Die eigenen Bedürfnisse kennen und mitteilen
Die Liebesbeziehung zwischen Mann und Frau lebt von verschiedenen Aspekten. Von gemeinsam verbrachter Zeit, Zärtlichkeiten im Alltag, kleinen Aufmerksamkeiten und Geschenken im Alltag sowie Anerkennung.
„Vor allem Männer brauchen viel Lob“, so Stefan Dörrer.
Hier ist es hilfreich, sich bewusst zu machen, welche kleinen Zeichen der Liebe mir persönlich besonders wichtig sind und dies dem anderen zu kommunizieren.
Rituale im Alltag finden
Nicht immer bleibt Zeit, um gemeinsam auszugehen. Doch liebevolle Rituale lassen sich auch im Alltag pflegen. Sei es das gemeinsame Gespräch nach dem Frühstück am Wochenende, wenn sich die Kinder in ihre Zimmer zurückgezogen haben, um zu spielen. Oder das gemeinsam genossene Glas Wein am Abend nach dem Zu-Bett-Geh-Ritual. Selbst kleine Zeitfenster im Alltag können genutzt werden, um die Liebesbeziehung zu pflegen.
Zwischen dem Erwachsenen-Ich und Kind-Ich unterscheiden
Im Alltag müssen wir oft schnell zwischen den unterschiedlichsten Rollen hin und her wechseln. Während wir am Sonntagabend noch unsere Einheit als Liebespaar spürten, finden wir uns Montag morgen in der Elternrolle wieder auf der Ebene von Pflicht und Vereinbarung. Funken dann noch unausgesprochene Erwartungen und Rollenbilder unserer Ursprungsfamilie oder Erinnerungen an die eigene Kindheit dazwischen, kann es schnell zu Missverständnissen oder Streit kommen. Wenn wir uns Zeit nehmen, um innezuhalten, wird uns vielleicht bewusst, dass wir bei manchen Themen „getriggert“,
Das heißt gefühlsmäßig in ein früheres Lebensalter katapultiert werden. Gerade wenn die Emotionen sehr heftig sind, kann es sinnvoll sein, sich zu fragen „Wie alt fühle ich mich gerade, wenn ich so tief empfinde? Kannte ich diese schon als Kleinkind, Schulkind oder Jugendliche/r?“
Indem wir diese Emotionen anerkennen und im geschützten Rahmen bewusst zulassen, respektieren wir die Verletzungen unseres „inneren Kindes“. Erst dann ist es möglich, sich wieder auf die Erwachsenenebene zu begeben. Und aus der Kraft und Kompetenz der/des erwachsenen Partners/Partnerin zu handeln.
Handelt es sich um immer wiederkehrende Muster, die man auch aus der eigenen Ursprungsfamilie oder früheren Partnerschaften kennt, kann es sinnvoll sein, dieses Thema in einer Einzeltherapie anzusehen und zu bearbeiten.
Beziehungspflege – die Basis für erfüllte Sexualität
Lust beginnt schon viel früher als im Bett.
„Wir verhalten uns manchmal so, als wäre unsere Lustlosigkeit bzw. das Nichtbegehren wie eine Pandemie über uns hereingebrochen“, meint Dörrer. Doch die Ursache ist oft die mangelnde Pflege der gemeinsamen Beziehung. Bei einem Auto ist uns klar, dass es ein regelmäßiges Service braucht. Unsere Liebesbeziehung verkümmert oft im Alltag der „Pflichten“. Wir brauchen Abwechslung und Spaß in unserer Partnerschaft! Ausstellungs-, Konzert- oder Kinobesuche, gemeinsame Wanderungen, eine Bootsfahrt oder ein Picknick zu zweit. Ein spontaner Spaziergang oder Caféhaus Besuch, wenn die Kinder gerade bei Freunden sind. All die zusammen erlebte Zeit und damit geförderte Unbeschwertheit wirkt sich aktivierend auf unsere Sexualität aus. Paare, denen es gut miteinander geht, pflegen die Lust im Alltag.
Wann Paartherapie helfen kann
Paartherapie ist immer noch sehr scham- und schuldbesetzt. Doch wenn Paare an den Punkt kommen, an dem sie sagen „Wir schaffen es nicht allein“, kann professionelle Hilfe von außen eine große Entlastung bedeuten. „Paarberatung heißt für mich zuhören und begleiten zu dürfen, als Moderator und Übersetzungshelfer in der Kommunikation“, erklärt Dörrer. „Es geht aber auch um die Vermittlung von hilfreichen Techniken und Werkzeugen, die unser Miteinander erleichtern.“
Eheberatung ist dann angesagt, wenn der Leidensdruck zu hoch wird und Paare das Gefühl haben, sich nur mehr im Kreis zu drehen.
Wenn Gesprächsversuche frustriert abgebrochen werden und der Eindruck entsteht, sich trotz dem Versuch, „miteinander zu reden“, nicht mehr zu verstehen. Sich ein oder beide Partner innerlich sowie äußerlich zurückziehen und Gespräche keinen Sinn mehr ergeben. Diese Situation aktiv mit fremder Unterstützung angehen ist kein Versagen im Sinne von „Wir sind unfähig!“, sondern zeugt von der Kompetenz, sich Hilfe zu holen.
Weitere Informationen unter:
Psychotherapie Dörrer
1120 Wien
www.psychotherapie-doerrer.at