Weil meine Seele vor Schmerz laut schreit...
Ein Plädoyer für positive Schlagzeilen als Antwort auf all die reißerischen Titel nach dem Amoklauf in Graz
Schlagzeilen und Sensationslust
Wenn ich in diesen Tagen die Printmedien betrachte und die sozialen Medien öffne, dominiert der Amoklauf am Grazer Gymnasium die Schlagzeilen. Und in den allermeisten Fällen werden sowohl die einen als auch die anderen genutzt, um das Thema so auszuschlachten, dass dadurch die Kaufquote erhöht bzw. die Klicks gesteigert werden. „Die dunkle Seele des Schul-Killers“ war beispielsweise die Schlagzeile, welche am heutigen Tag das Titelblatt der Kronen-Zeitung zierte, und die Schreie in der Gesellschaft nach Waffenverboten als Antwort auf das jüngste Ereignis werden über Petitionen kundgetan.
Ein Herz, das vor Trauer weint
Diese Entwicklungen lassen meine Seele vor Schmerz laut schreien, lassen mein Herz vor Trauer still weinen und bewegen mich dazu, darauf zu reagieren. Ich kann nachvollziehen, dass sich Schockbotschaften gut dafür verwenden lassen, die Verkaufszahlen zu steigern und dass Nachrichten, welche das Herz erwärmen, die Mut machen und Zuversicht säen, schwerer aufzubereiten sind, um Anklang zu finden. Und dennoch plädiere ich vehement darauf, den Fokus auf letztere zu richten.
Denn die Frage ist doch: was wollen wir damit erreichen?
Wollen wir Menschen abstempeln, in Schubladen stecken, als Sündenböcke für unsere Zwecke benutzen? Oder wollen wir nicht eher – und darauf hoffe ich sehr stark – versuchen zu verstehen, was da gerade passiert ist und wie es dazu kam, um dadurch in Zukunft solchen Ereignissen präventiv entgegenwirken zu können?
Ein stilles Gebet - für alle
Als am Tag nach dem schrecklichen Ereignis um 10 Uhr die tiefen, dumpfen Glocken des Salzburger Doms über den Kapitelplatz in mein offenes Bürofenster wummerten, schloss ich die Augen, hielt inne und schickte ein Stoßgebet für die Eltern des jungen Mannes, der diese Tat verübt hat, zum Himmel. Ich dachte mir, für die Seelen der getöteten Kinder und deren Angehörige betet nun das ganze Land, aber was müssen wohl diese beiden Menschen nun ertragen, aushalten, mit welchen Blicken müssen sie rechnen, mit welch schwerer Last müssen sie nun zurechtkommen?
Und ich fragte mich, was hat dieser junge Mensch in seinem Leben schon alles erlebt, das ihn derart verzweifeln ließ, dass er keinen anderen Ausweg mehr sah, als sich und zuvor vielen anderen Kindern das Leben zu nehmen? Ich möchte verstehen können, wie es dazu kam, wie er sich fühlte und ich möchte gleichzeitig betonen, dass ich absolut nicht damit einverstanden bin, was er getan hat! Aber um in Zukunft weitere Kinder vor so einer Tat schützen zu können, ist der Versuch zu verstehen die einzige Möglichkeit, um etwas ändern zu können.
Was unsere Kinder wirklich brauchen
Und dabei gehen meine Gedanken und Überlegungen in die Richtung, wie wir unsere Kinder sehen, behandeln, was wir ihnen geben können, damit sie es niemals nötig haben werden, so eine Tat als den einzig letzten Ausweg zu erachten.
Mein Plädoyer an alle, die Kinder haben oder mit Kindern arbeiten, ist somit folgendes:
- Liebt sie bedingungslos, einfach nur, weil es sie gibt, ohne dass sie eine Leistung dafür erbringen müssen. Gehen wir ihnen wertschätzend und gütig entgegen. Lasst uns in einer Haltung bleiben, in der wir annehmen, dass sie grundsätzlich Gutes mit ihrem Verhalten bezwecken wollen.
- Wir alle sind Menschen und Fehler zu machen, macht uns erst menschlich, diese sind sogar notwendig, damit wir uns dadurch entwickeln können. Unsere Kinder definieren sich nicht allein durch ihre Noten, sie sind so viel mehr. Geben wir diesen also nicht so viel Gewicht, dass sie dadurch erdrückt werden.
- Unterstützt sie nicht nur in der Bildung ihrer kognitiven Fähigkeiten, sondern unterstützt sie vor allem in der Herzensbildung, in der Stärkung ihrer emotionalen und sozialen Kompetenzen. Lehrt ihnen, in sich hineinzuhören, auf die eigenen Gefühle zu vertrauen, zu erkennen, was sie brauchen, damit es ihnen gut geht und dies auch ausdrücken können.
- Unterstützt sie dabei zu entdecken, wofür ihr Herz brennt, welche Stärken sie haben und motiviert sie dabei, genau dort alles zu geben, um ein glückliches, in sich ruhendes Individuum sein zu können. Menschen, die Sinn erkennen, hinter dem, was sie tun, und die das, was sie tun, lieben, sind gefeit vor psychischem Ausbrennen und dessen Folgen.
- Lehrt unsere Kinder, dass Konflikte per se nichts Negatives sind, sondern notwendig für jegliche Entwicklung und ein Garant gegen Stillstand. Zeigt ihnen dafür einen gelingenden Umgang, indem wir andere Meinungen und Sichtweisen als befruchtend betrachtend und nicht als bedrohend, indem wir weniger Argwohn gegenüber den Absichten unseres Gegenübers an den Tag legen und mehr Neugierde.
Mehr Liebe, mehr Herz, mehr Menschlichkeit
Was wir in dieser unserer Welt dringend brauchen, ist mehr Liebe als Hass, mehr Verständnis statt Schubladendenken, mehr mit dem Herzen hören als Mauern darum aufzubauen. Und jeder von uns kann dazu beitragen, wir müssen uns nur dazu entscheiden, damit unsere Seelen in Frieden strahlen anstatt vor Schmerz zu schreien.