Warum unser Kind nicht teilen muss

Immer wieder erlebt man Szenen mit Kindern, in denen die Eltern sie zum Teilen zwingen. Meist ist es das Spielzeug, dass sie mit fremden Kindern am Spielplatz teilen sollen. Tut man seinem Kind damit wirklich Gutes? Und wie lässt sich die Situation anders lösen?

Ich beobachte immer wieder folgende Szene:

Ein Kind sitzt in einem Sandkasten und spielt mit seiner Schaufel, seiner Eistüte, seinem Eimer, seinem Traktor.

Ein anderes Kind kommt, nimmt etwas davon. Erstes Kind schreit: Neeeeeeiiiiiin! Meins! Und nimmt es sich wieder.

Mutter kommt, sagt: Nein, wir teilen, nimmt ihm das Spielzeug aus der Hand und gibt es dem anderen Kind.

Erstes Kind: Neeeeiiiiin!

Mutter: Nein, er darf es schon haben.

Mutter des zweiten Kindes: Schau, sie mag gerade nicht teilen, wir geben es wieder zurück.

Mutter des ersten Kindes: Nein, sie muss teilen.

Ein Nein bleibt ein Nein

Ja, ich finde, dass Teilen (können) etwas Schönes und Erstrebenswertes ist, nein, ich glaube nicht, dass das erste Kind das so lernt und ab dann freudig und bereitwillig seine Sachen hergibt. Im 2. Korintherbrief heißt es: Jeder gebe, wie er es sich in seinem Herzen vorgenommen hat, nicht verdrossen und nicht unter Zwang; denn Gott liebt einen fröhlichen Geber. Ich glaube, dieses Teilen kommt aus dem Wissen heraus: ich habe genug, bin gesegnet und werde beschenkt, und aus dem heraus möchte ich auch andere erfreuen.

Ich glaube, dass das Kind das in der oben genannten Szene nicht so empfindet, sondern eher frustriert ist: Ich war gerade im Spiel-Flow, da kommt jemand, nimmt ungefragt etwas von meinen Sachen, und meine Mama stellt sich auf dessen Seite und weist mich zurecht! Versteht mich bitte nicht falsch: natürlich möchte ich, dass unser Kind freundlich ist und bleibt, gern teilt und sich in Gesellschaft so verhält, dass die anderen weiterhin gern mit ihm spielen. Und gleichzeitig: es muss nicht alles teilen, nicht immer und nicht mit jedem.

Es muss nicht alles teilen, nicht immer und nicht mit jedem.

Ich stelle mir folgende Situation vor: Ich sitze auf einer Parkbank, ein Fremder kommt, nimmt mein Handy, das neben mir liegt und fängt an, darauf herumzutippen.

Ich: Äh, ich hätte gern mein Handy wieder, bitte.

Fremder schaut mich an, macht weiter.

Ich, verwirrt und frustriert, will es mir wieder nehmen.

Meine Mutter kommt und sagt: Nein, wir teilen!

Wäre eigenartig, oder? Es gibt den Blödelspruch: Drei Dinge soll der Mann nicht teilen: seine Zahnbürste, sein Auto und seine Frau. Ich habe ein paar Dinge, die ich nicht oder nur sehr ungern herborge: z.B. meine Gitarre, meine Flöte, meine Dirndlkleider, mein Auto, meinen Laptop. Andere Dinge liebe ich, herzuborgen: Bücher zum Beispiel. Spielzeug, das gerade nicht in Gebrauch ist, tauschen wir im Freundeskreis für ein paar Wochen. Wenn ich Kuchen backe, mache ich oft eine größere Menge zum Weiterverschenken. Ich habe immer wieder mal Kleidertauschpartys organisiert, wir spenden 10 % unseres Einkommens. Ich finde, auf sein Eigentum hat man immer Anspruch. Eine Freundin von mir sieht das anders, sie meint, das Kind, das gerade spielt, darf fertig spielen, weil die Aufmerksamkeitsspanne eh noch so kurz ist. Auch ok.

Den Kindern erklären, wieso es in Ordnung ist, nicht alles zu teilen

Bevor jemand zu Besuch kommt, führe ich mit unserer Tochter folgendes Gespräch: „Heute Nachmittag kommt uns der Leon besuchen. Da hätte ich gern, dass er alles angreifen darf und mit allem spielen darf, was da ist. Weil sonst ja alles dir gehört und er nichts nehmen darf. Gibt es irgendwas, mit dem er nicht spielen darf?“ Dann überlegt sie. Manches Mal weiß sie es gleich ganz klar, manches Mal zeige ich ihr ihre Lieblingsdinge, von denen ich schon vermute, dass sie sie nicht so gern teilt. Letztes Mal war das die Puppe, die Tonie Box und die Kindergitarre. Die räumen wir dann in den Kasten im Schlafzimmer. Ich finde, auch ein Kind darf Dinge nur für sich haben, die ihm sehr viel wert sind. Und es darf auch sagen: nein, jetzt brauche ich meine Puppe gerade selber.

In der Szene am Anfang des Textes könnte die Mutter des ersten Kindes so reagieren: Der Bub hat gerade deine Schaufel genommen. Und das ärgert dich, weil du die selber gerade brauchst. Darf er sie trotzdem ausborgen? Oder magst du fragen, ob er die Eistüte haben mag? Wir waren erst vor kurzem in so einer Situation. Erst hat unsere Tochter gesagt: Nein! Und fünf Minuten später hat sie ihm freudestrahlend ihre Schaufel gebracht. Und manches Mal bleibt es bei dem Nein. Beides ist ok.

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Ein Artikel von

Portraitfoto Rebecca Thums

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