Sinne stärken, Entwicklung fördern: Einblicke in die Basale Stimulation
„Poo, Poo, Poo. Meh, meh, meh.“ Seit der Gehsteig in ein Kopfsteinpflaster überging, holpert der Kinderwagen unruhig auf und ab. Konzentriert und bereits leicht genervt versucht die Mutter den Wagen dennoch sicher zu steuern. Während sie innerlich bereits die Einkaufsliste abspult. Doch partout in diesem Moment beginnt ihr halbjähriger Säugling lautstark mit seinem Gebrabbel.
Wir alle wissen, dass Kinder gerne plaudern, hüfen, schaukeln oder Höhlen bauen, aber verstehen wir auch, warum sie es tun? Die elementaren Angebote in der Basalen Stimulation beruhen auf grundlegenden körperlichen Erfahrungen, die gesunde Kinder automatisch machen. Dadurch entwickeln sie sich weiter.
Das Wissen um die Zusammenhänge, WAS Kinder WIE durch ihr natürliches Spielverhalten lernen, faszinierte mich am meisten während meiner vierjährigen Tätigkeit als Nachmittagsbetreuerin einer Basalen Förderklasse. Es half mir als Mutter, meinem ehemaligen Frühchen vielfältigste entwicklungsfördernde Impulse anbieten zu können. Und schenkte mir Verständnis und Geduld für einige Eigenheiten im Spielverhalten von Babys und Kleinkindern, die uns manchmal langweilig, anstrengend oder selbstverständlich erscheinen. Und dennoch wertvolle Entwicklungsschritte sind.
Den eigenen Körper besser spüren
Denn gerade bei „auffälligem oder störendem Verhalten“ steckt meist nur der unbeholfene, kindliche Versuch dahinter, sich selbst und den eigenen Körper besser zu spüren zu können. So konnte ich meinem mittlerweile gesunden Teenager als Kleinkind mit einigen kleinen Spiel-Ideen schnell helfen, seine eigene Mitte wieder zu finden.
Konzept der Basalen Stimulation
Das Konzept der Basalen Stimulation wurde in den 1970-er Jahren vom Sonderpädagogen Andreas Fröhlich entwickelt. Der ursprüngliche Gedanke war die achtsame Förderung schwerstbehinderter Kinder. In den 1980-er Jahren adaptierte die Pädagogin und Pflegewissenschaftlerin Christel Bienstein die Methode für die Pflege erwachsener Menschen.
„Basale Stimulation® ist ein Konzept zur Förderung von Menschen in krisenhaften Lebenssituationen, in denen ihre Austausch- und Regulationskompetenzen deutlich vermindert, eingeschränkt oder dauerhaft behindert sind.“
Andreas Fröhlich
So basiert die Methode auf neuro- und verhaltensbiologischen Erkenntnissen nach Pechstein sowie entwicklungspsychologischen und -physiologischen Erkenntnissen nach Jetter, Piaget und Bobath. Die Idee der Basalen Stimulation ist es, Kindern und Erwachsenen Erfahrungen zu ermöglichen, die sie aufgrund ihrer Krankheit oder Behinderung nicht auf natürlichem Wege erleben können. Basierend auf unseren Sinnessystemen.

Die sieben Sinne des Menschen
Durch unsere Sinnesorgane gewinnen wir Eindrücke und Informationen von unserer Umgebung.
Einige Sinnessysteme sind uns dabei mehr bekannt, wie z. B. das
- 1. Visuelle System (Sehsinn)
- 2. Auditive System (Hörsinn)
- 3. Olfaktorische System (Geruchssinn)
- 4. Gustatorische System (Geschmackssinn)
- 5. Taktile System (Tastsinn)
Andere dagegen sind uns gar nicht bewusst, wie z. B. das
- 6. Kinästhetische System (Bewegungs-, Kraft- und Stellungssinn)
- 7. Vestibuläre System (Gleichgewichtssinn).
Und dennoch sind alle wichtig und notwendig um uns im Leben zurechtzufinden und wohlzufühlen.
Die Basale Stimulation setzt dieses Wissen ein, um es Menschen zu ermöglichen,
- # sich sicher und gehalten zu fühlen,
- # sich als eigenständige, selbstwirksame Persönlichkeit zu erleben,
- # die körpereigene Wahrnehmung durch Berührung aufbauen und fördern zu können.
Um ein besseres Verständnis zu entwickeln und praktische Spiel-Tipps für den Alltag mit Säugling und Kleinkind zu erhalten, daher eine detaillierte Beschreibung, der nicht so bekannten Sinnessysteme.
5. Die Somatische Wahrnehmung
Diese umfasst Haut, Muskulatur und Gelenke. Bekanntermaßen ist die Haut unser größtes Körperorgan, durch sie spüren wir, dass unsere Umwelt dort beginnt, wo wir enden. Es geht um Körperwahrnehmung, darum unsere Körperteile und Grenzen bewusster zu spüren. Dies geschieht durch Verarbeitung und das Zusammenspiel von taktilen und propriozeptiven Eindrücken.
Möglichkeiten die Taktile und Somatische Wahrnehmung erfahrbar zu machen sind alle Angebote, die dazu dienen die eigenen Grenzen besser spüren zu können.
- Massagen
- Vorsichtiges föhnen der Haut mit geringer Wärme, oder Wärmelampen
- Mit einem Handtuch Körperteile einwickeln
- Körperteile im Sand eingraben
- Körperkontakt, Berührungen
- Begleitende und geführte Körperbewegungen
- Haptische Angebote, um Hände und Füße besser spüren zu können (Pinsel, Tücher, Barfuß-Wege mit unterschiedlichen Bodenbeschaffenheiten, Fühl-Spiele)
6. Bewegungserfahrung
Wir bewegen uns ständig, es gibt keinen Stillstand.
Selbst wenn wir liegen oder bewusst stehen, bewegt sich unser Körper minimal, allein durch die Atmung. Gesunde Menschen nehmen sich selbst wahr und spüren ihren Körper durch dauernde Haltungs- und Lagewechsel, Spannung und Entspannung.
Bei Kindern mit besonderen Bedürfnissen führt der Bewegungsmangel zu Wahrnehmungsverlusten und damit verbunden zu Kontrollverlusten. Das „Körper Ich“ schrumpft auf einen kleinen Bereich.
Möglichkeiten das Körper-Ich wieder erfahrbar zu machen sind:
- Druckerfahrungen (Massagen)
- Begrenzungen (Kissen, Sandsäckchen, Wasser, Bällchen Bad, Sand, Schachteln, Höhlen)
- Hüpfen und Springen in geschütztem Raum (dicke Matten)
Die Vibratorische Wahrnehmung
Bereits im Mutterleib sind wir vibratorischen Schwingungen ausgesetzt. Ob Herzschlag und Atmung der Mutter oder Magen- und Darmgeräusche. Geräusche, Musik, die Stimme der Mutter, all diese Schallwellen werden vom Ungeborenen nicht nur gehört, sondern gleichermaßen gespürt. Dies wird auch das „intrauterine Hören“ genannt.
Durch Summen, Singen, Klatschen und Stampfen können wir manuell Schwingungen erzeugen. Dadurch spüren wir unser Körperinneres, erleben Körpertiefe- und Fülle. Kinder, die springen, hüpfen, laufen und plötzlich stehen bleiben, nehmen so ihr Trägersystem, das Skelett wahr. So haben auch blaue Flecken, kleine Beulen und das eigene Schmerzempfinden einen Sinn, da dadurch die Widerstandsfähigkeit des eigenen Körpers erlebt wird.
Auch wenn das Schwingungserleben von gesunden Menschen selten aktiv und bewusst eingesetzt wird, um Informationen über die Umwelt zu erfahren, machen sie dennoch genug Erfahrungen, um diese Wahrnehmung zu erleben. Kleine Kinder beginnen zum Beispiel oft Laute zu formulieren, wenn der Kinderwagen auf einem holprigen Untergrund fährt, da sie hier die Schwingungen in Kombination mit ihrem Gehör auch körperlich gut spüren können.
Bei Kindern mit Hörschädigungen bricht der Kontakt mit der Umwelt nach der Geburt plötzlich ab. Da das Hören nach der Geburt nur mehr über den Luftschall erfolgt, und das vibratorische Spüren im Mutterleib wegfällt, können keine Informationen über die Umwelt wahrgenommen werden. Hier setzt die Basale Stimulation an.
Möglichkeiten die Vibratorische Wahrnehmung wieder erfahrbar zu machen sind unter anderem:
- Verstärkung der Atmung
- Massagekissen mit leichten Vibrationen
- Elektrische Zahnbürsten
- Wasserbett
- Holzschlaginstrumente, mit denen man den Schall auch spüren kann
7. Die Vestibuläre Wahrnehmung:
Bereits im Mutterleib sind wir der Schwerkraft ausgesetzt. Durch unterschiedlichste Bewegungen der Mutter erfährt das Kind Bewegung im Raum (Auf- und Ab, Hin- und Her, Hinlegen – Aufstehen, Umdrehen) und gewinnt so erste Informationen zur Lage seines Körpers im Raum. Auch das Gleichgewicht wird dadurch gefördert.
Möglichkeiten die Vestibuläre Wahrnehmung wieder erfahrbar zu machen sind unter anderem:
- Schaukeln (Hängematten, Hängesitz)
- Wiegen
- Lage- und Positionswechsel