„Erziehung ist (k)ein Kinderspiel!“ - Etwas zum Nachdenken

Szene an der Bushaltestelle - Ein negatives Beispiel zum Abschrecken: das sinnlose Einreden auf das Kind. Ein Artikel zur Selbstreflexion

Die Mutter sitzt auf einer Bank, tratscht mit Freundinnen, wartet auf den Bus. Der dreijährige Marcel läuft ein wenig auf und ab, blickt sich neugierig um, tappt einige Gegenstände an, tut was Kinder so tun, wenn ihnen langweilig ist. Die Mutter, sitzend, ohne sich recht ihm zuzuwenden, redet auf ihn ein: „Marcel, bleib hier! Greif nichts an! Ich schwör dir, wenn du noch einmal in den Mistkübel greifst, dann gibt’s etwas! Komm her! Komm jetzt her! Ich sag dir’s! Gleich passiert was! Dann soll dich der Bus erwischen, damit du siehst, was passiert!“ Marcel lacht. Mutter, sarkastisch: „Na, geht’s dir jetzt besser?! Marceeel!“ Marcel, etwas eingeschüchtert, bleibt auf Distanz. Mutter tratscht weiter, Marcel macht weiter. Nach einer kurzen Weile wieder: „Marcel, jetzt lass das!“ etc. etc.

So geht das 7 bis 10 Minuten, bis sie irgendwann, völlig unberechenbar, explodiert.

Halbherziges sinnloses Gerede und verbale Gewalt

Können Sie sich diese Szene plastisch vorstellen? Ermahnungen, Beschimpfungen, verbale Gewalt, und zugleich völlig ineffektiv! So kann man Kinder nicht zum Folgen motivieren. Und letztendlich mündet sie dann häufig auch in körperliche Gewalt.

Am liebsten würde ich die Mutter fragen:

„Hören Sie sich eigentlich reden? Ist Ihnen bewusst, was Sie da sagen? Welche Macht Ihre Worte haben? Wie würde es Ihnen gehen, wenn jemand so zu Ihnen spricht? Das würden Sie sich kaum gefallen lassen, nicht einmal von Ihrem Chef!“

Das Kind hat keine Wahl.

Es kann nur „die Ohren zumachen“ Und was soll diese Drohung eigentlich: ‚Dann soll dich der Bus erwischen, damit du siehst, was passiert!’? Das ist sarkastisch und lächerlich zugleich, das spürt Marcel instinktiv. Das wünscht sie sich doch nicht wirklich, oder!“ Und wie kann sie ihr Kind für die Gefahren des Straßenverkehrs verantwortlich machen? Dafür ist sie zuständig!

Zunächst muss man feststellen, dass diese Mutter die Bedürfnisse und Möglichkeiten Ihres Kindes völlig ignoriert. Offenbar ist ihr das Kind lästig. Es ist verständlich, dass sie sich unterhalten möchte, aber zuerst muss sie für ihr Kind sorgen. Es braucht Aufmerksamkeit und Anleitung. Es genügt nicht, zu sagen „Lass das!“ Was soll er stattdessen tun? Es ist unrealistisch, von ihm zu erwarten, dass er regungslos dasteht und Löcher in die Luft starrt. Dann wäre er wohl krank!

Die Worte der Mutter sind irgendwie halbherzig. Sie klingen auch wie ein Alibi:

„Ich sag halt irgendetwas, damit ich mich nicht wirklich mit dir auseinandersetzen muss, weil Grenzen setzen mühsam ist. Und wenn es nicht klappt, dann bist du schuld. Ich habe dir’s ja gesagt!“

Irrtum liebe Dame! Die Verantwortung gehört Ihnen! Wir müssen uns ganz auf Kinder einlassen und Grenzen rechtzeitig und liebevoll setzen, wenn wir erfolgreich erziehen wollen.

Zuwendung und klare Anweisungen

Die Mutter hat zwei Möglichkeiten: Sie kann sich gleich zu Beginn Marcel zuwenden, Blickkontakt herstellen und ihm ernst und freundlich klar machen, wie weit er gehen kann, was er angreifen darf und was nicht. Sie sollte eine Bestätigung einholen: „Hast du mich gut verstanden?“ und sein treuherziges „Ja, Mama!“ abwarten. Sie kann eine wohlwollende Atmosphäre herstellen, die von „wir nehmen einander ernst!“ geprägt ist. Unter solchen Voraussetzungen fällt es Kindern leichter, „brav“ zu sein.

Die Mutter kann sich auch dafür entscheiden, Marcel zu sagen: „Komm, setz dich zu mir!“ Sie kann sich mit ihm beschäftigen, ihm ein Geschichtchen erzählen, ein Spielzeug aus der Tasche holen oder eine der vielen anderen Möglichkeiten ergreifen, Zeit mit ihrem Kind zu verbringen, ihn anleiten und erst dann, wenn er zufrieden ist und kooperiert, sich mit den Freundinnen unterhalten. Diese Zeit der Zuwendung muss nicht lange dauern, aber sie ist Voraussetzung dafür, dass die Mutter hinterher „Ruhe“ hat. Den ganzen Redeschwall an Befehlen und Drohungen sollte sie sich lieber ersparen.

Wenn die Sache ungefährlich ist, kann sie ihn auch einfach tun lassen, was er will (natürlich mit bestimmten Grenzen), aber ohne pausenlose Ermahnungen. Marcel darf sich auch einmal schmutzig machen.

Sich in das Kind hineinversetzen

Was bewirkt nun das oben geschilderte Gerede bei Marcel?  Solche Worte provozieren Widerstand, Widerwillen, Weghören. Außerdem merkt Marcel, dass die Mutter ihren Worten keine Taten folgen lässt. Sie tratscht lieber, als aufzustehen und ihn herzuholen. Ihre Inkonsequenz bedeutet für ihn, dass er sie nicht ernst zu nehmen braucht. Das zeigt er dadurch, dass er nicht folgt, immer wieder wegläuft und seine Mutter auslacht.

Wenn Kinder nicht folgen, sollte man sich immer fragen: „Was muss ICH tun, damit mein Kind ‚richtig’ reagieren kann?“

Wenn wir uns ein harmonisches Leben mit Kindern wünschen, müssen wir immer auf ihre Bedürfnisse achten und auch uns selbst ernst nehmen. Wir müssen zwar etwas Zeit, Zuwendung und Aufmerksamkeit investieren, aber dafür schaffen wir Voraussetzungen, dass sie gerne folgen und mit uns kooperieren. Dann werden sie auch Verständnis dafür haben, wenn wir uns einmal unterhalten möchten. Auf lange Sicht ersparen wir uns damit viel Zeit und Kopfzerbrechen. Noch etwas: Lernen wir ihren kindlichen Schelm und Charme genießen und geben wir ihnen das Beste, damit sie auf das Beste gedeihen können.

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Ein Artikel von

Portraitfoto Maria Neuberger-Schmidt

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