„Erziehung ist (k)ein Kinderspiel“ Erziehung als Herausforderung für die Partnerschaft

Allgemein nimmt man an, dass Kinder die Elternbeziehung stärken. Es kann aber auch umgekehrt sein. Nicht wenige Paare lassen sich scheiden, gerade wegen der Kinder. Weil der Alltagsstress die Beziehung überstrapaziert und keine Zeit mehr für das Paar bleibt. Weil grundsätzliche Erziehungsfragen oder das konkrete Erziehungsverhalten irritieren, belasten und zu aufreibenden Konflikten führen können.

Nachfolgend möchte ich anhand eines Fallbeispiels die Stolpersteine und dahinterliegenden Einstellungen analysieren und konkrete Anregungen für Paarbeziehung und Tischkultur geben.

Nach dem Abendessen bekommt klein Ludwig, 22 Monate, einen Becher mit rotem Traubensaft von seiner Mutter. Der Vater meint: „Tu das nicht, er wird ihn ausschütten! Gib ihm lieber Wasser zu trinken.“ Die Mutter ignoriert diese Bitte. Es kommt, wie es kommen muss: Kaum verlässt Ludwig den Tisch mit seinem Becher, landet der Inhalt auch schon auf dem schönen Teppich. Der wütende Vater schreit das Kind und seine Frau an: „Hab‘ ich es dir nicht gesagt?!“ Der Vorfall endet im Streit.

Was könnte man nächstes Mal besser machen? In diesem Beispiel greifen zwei Themen ineinander: A) Wie gehen wir miteinander als Paar und Elternteam um? B) Welche Vorstellungen haben wir von Tischkultur und damit zur Frage, was wir beim Essen erlauben oder verbieten.

Zu A) Respekt und Kooperation

Wenn die Bitte eines Elternteils einfach ignoriert wird, dann ist dies es eine nicht zu unterschätzende Respektlosigkeit. Die Autorität des Vaters oder der Mutter wird dadurch beträchtlich untergraben. Das macht wütend, nicht nur die Sorge um die Flecken auf dem Teppich.

Ignorieren geht gar nicht!

Selbst wenn Sie mit einer Bitte oder Anweisung nicht einverstanden sind, ignorieren Sie dies nicht einfach. Es ist ein Zeichen großen Respekts, wenn nichts dagegen spricht, der Bitte des Partners einfach nachzukommen oder, wenn man dies nicht tun will, freundlich die eigenen Argumente vorzubringen. Z.B. „Er liebt diesen Traubensaft. Ich werde aufpassen, dass nichts daneben geht.“ Ob Traubensaft oder Wasser, die Sache gehört sofort geklärt. Dann lernt das Kind, dass die Eltern auch bei Meinungsverschiedenheiten respektvoll miteinander umgehen und wird auch ihnen diesen Respekt entgegenbringen.

Wut verleitet zu unbedachten Äußerungen

Wir alle wissen, dass Worte verletzen können. Egal, ob er im Recht ist oder nicht, der Vater sollte sich für seine unfreundlichen Worte entschuldigen: „Es tut mir leid, dass ich dich und den Ludwig vorhin so angebrüllt habe. Aber es macht mich wütend, wenn du meine Bitten einfach ignorierst.“ Danach sollte der Vater auf Zuhören schalten und auf seine Frau eingehen, denn auch sie muss sich gehört fühlen und ihren Frust abladen können. Vielleicht fühlt sie sich bevormundet, wenn er beispielsweise allzu oft ihre Entscheidungen in Frage stellt. Außerdem darf man nicht erwarten, dass Einsichten immer sofort kommen, wie auf Knopfdruck. Unser kleines Ego meldet sich zu Wort, es hat ja Angst vor Gesichtsverlust. Darum lohnt es sich, Geduld miteinander und mit unseren kleinen Schwächen zu haben.

Es ist ein Zeichen innerer Größe, sich entschuldigen zu können

Es wäre wünschenswert, wenn in diesem Fall die Mutter den ersten Schritt tut und sich aufrichtig entschuldigt: „Es tut mir leid, dass ich deine Bitte ignoriert habe und nicht bei Ludwig sitzen geblieben bin, bis er ausgetrunken hat. Darf ich dich nächstes Mal darum bitten, wenn ich keine Zeit dazu habe, weil ich mich um das Baby kümmern muss?“

B) Welche Vorstellungen haben wir von Tischkultur und damit zur Frage, was wir beim Essen erlauben oder verbieten?

Kinder brauchen klare Regeln und Anweisungen

Man sollte sich wohl auch überlegen, ob das Setting passt oder verändert werden sollte: Essen wir gemeinsam oder bringen wir abends zuerst die Kinder ins Bett? Sollen kleine Kinder überhaupt abseits vom Tisch essen und trinken dürfen? Klare Regeln sind keine Tyrannei, sondern helfen Kindern, gute Gewohnheiten zu entwickeln. Damit klein Ludwig bei Tisch sitzen bleibt und ordentlich isst, braucht er noch Ermutigung und Anleitung. Schließlich sollte er nicht einfach kommentarlos den Tisch verlassen dürfen.

Tischkultur fördert Beziehung

Bei uns gab es folgendes Ritual: Wenn ein Kind fertig war, sagte es: „Danke für das gute Essen. Darf ich bitte aufstehen?“ Ich fragte nach, ob es geschmeckt hat, ob es noch etwas braucht. Gegebenenfalls motivierte ich, fertig zu essen, ohne ihm jedoch das Essen aufzuzwingen. Oder zu warten, bis auch die anderen fertig gegessen haben. Wir bedanken uns auch unsererseits: „Ich freue mich, dass es dir geschmeckt hat und dass du so artig gegessen hast.“ Damit motivieren wir Kinder für das nächste Mal, sich wieder gut zu benehmen und alle können die ruhige und entspannte Atmosphäre bei Tisch genießen. Und es hilft uns Erwachsenen, die Übersicht zu behalten und viele Pannen gleich im Vorfeld zu vermeiden.

Kleiner Anlass, tiefe Folgen

Zurück zur Beziehungsthematik: Der Anlass (verschütteter Saft) war eine Kleinigkeit, was dahintersteckte, war jedoch von großer Bedeutung, denn Respektlosigkeit kann die Beziehung der beiden Eltern zueinander nachhaltig trüben. Deshalb gehören solche Zwischenfälle ausdiskutiert. Wenn nicht sofort, dann am Abend, oder zu einem anderen passenden Zeitpunkt. Oder als Entschuldigung per SMS oder E-Mail.  Manchmal können eingefahrene Muster nur mit professioneller Hilfe durchbrochen werden, in der Paarberatung oder in entspannter Atmosphäre in einem Elternseminar, auch als Prophylaxe. Wenn es viel aufzuarbeiten gibt, ist es erst recht wichtig, dranzubleiben, denn es geht um Ihr Familienglück. Die darin investierte Zeit wird sich schnell amortisieren, denn man wird weniger Zeit mit Streiten verbringen.

Respekt, Klarheit und Geduld sind Tugenden, die immer helfen und zu tieferen, liebevolleren Beziehungen führen und zur Seelennahrung für die heranwachsenden Kinder werden.

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Ein Artikel von

Portraitfoto Maria Neuberger-Schmidt

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