„Erziehung ist (k)ein Kinderspiel!“ - Die Petersilie und der Respekt

Wie eine banale Alltagssituation Konflikte zwischen den Generationen aufzeigen kann. Wie so oft, geht es um Verständnis, Respekt und gelungene Kommunikation.

Oma kocht, Alfons, 13, sitzt in der Küche und liest. Da meint die Oma: „Du, Alfons, bitte hole mir Petersilie aus dem Garten. Alfons: „Ich lese nur das Kapitel zu Ende, dann gehe ich!“ Die alte Dame:  „Ich brauche es aber jetzt!“ Alfons: „Ich geh ja gleich!“ Nun ist sie entrüstet: Dieses Hinauszögern empfindet sie als Respektlosigkeit. Obwohl sie für die Familie kocht, hat das Buch Vorrang! Alfons: „Ich hätte schon längst das Kapitel fertiggelesen und dir die Petersilie geholt, wenn du dich nicht ständig aufregst!“ Der Vater meldet sich jetzt auch zu Wort. Warum muss seine Mutter immer so ungeduldig und bestimmend sein? „Das war doch ein höflicher Vorschlag. Du könntest etwas geduldiger sein. Auch Kinder haben Anrecht auf Respekt!“

Was macht die alte Dame eigentlich so wütend?

Es regt sie auf, dass Alfons sie partnerschaftlich behandelt. Hier geht es aber um den Respekt vor der älteren Generation. Sie darf erwarten, dass er ihrer Bitte Vorrang vor seinem Bedürfnis einräumt. Außerdem fühlt sie sich nicht nur von ihrem Enkel, sondern auch von ihrem Sohn gekränkt. Er müsste doch zu ihr halten!

In Würde einlenken

Jugendliche haben andere Prioritäten und lassen nicht gerne mit sich kommandieren. Wahrscheinlich hätte die Oma mehr Verständnis gehabt, hätte Alfons seinen Vorschlag als Frage gebracht: „Ich möchte zuerst den Absatz fertig lesen. Ist dir das recht?“ Vielleicht hätte sie zurück gefragt: „Wie lange dauert das?“ Man hätte sich wohl rasch geeinigt. Ihr Ziel hätte die Oma auch mit Verständnis für den Widerstand erreichen können: „Ich weiß, es fällt dir schwer, mitten drinnen zu unterbrechen. Aber bitte, geh jetzt gleich!“ Wenn auch dieses Argument nicht ankommt, wäre es besser, würdevoll einzulenken: „Dann warte ich eben!“ Ist es wirklich wichtig, ob das Essen zwei Minuten früher oder später fertig ist? Kinder wissen es zu schätzen, wenn sie ernst genommen werden.

Umgekehrt: Warum sollte Alfons nicht seiner Oma zuliebe zurückstecken? Die Beziehung zwischen den Generationen ist vertikal, sie ist von anderer Natur als jene zu Gleichaltrigen. Es ist auch im eigenen Interesse, wenn Eltern dafür sorgen, dass die Enkel die Großeltern achten, ihnen zuliebe auch einmal etwas unterbrechen, auf etwas verzichten oder ihnen einen Dienst tun. Das sollte man nicht als etwas Lästiges sehen, sondern es ehrt die Jugend und gibt ihrem Leben eine positive, lebensbejahende Richtung.

Ähnliche Artikel

Ein Artikel von

Portraitfoto Maria Neuberger-Schmidt

Weitere Artikel des Autors lesen