Das Wort mit dem SCH

Ein Plädoyer für eine schimpfwortfreie Umgangssprache.
Eigentlich lehne ich mich weit aus dem Fenster, wenn ich das hier schreibe, denn vom Ideal, einer schimpfwortfreien Sprache, bin ich weit entfernt. Jedoch, das kann ich zu meiner Verteidigung sagen, ich arbeite daran, es besser zu machen.
Besser machen geht eben immer.

Dann habe ich in mir auch noch den Anspruch, die „guten“ Umgangsformen nicht vollkommen schleifen zu lassen. Daran fest zu halten, auch wenn ich mir manchmal recht altmodisch dabei vorkomme.

„Der Ton macht die Musik“, sage ich zu meinen Kindern.
Öfters, als mir lieb ist.

Mit dem Thema Schimpfwörter wird man im Erwachsenenalter ja eigentlich erst wieder so richtig konfrontiert, nachdem die eigenen Kinder im sprechfähigen Alter sind. Blitzschnell erkennen sie emotional aufgeladene Wörter, sammeln diese und setzen sie dann zielgerichtet ein, um auszuprobieren wie ihre Umwelt darauf reagiert.

Kinder proben ihre Grenzen

Meine Kinder machten es eine Zeit lang sehr gerne. Das zielgerichtete Ausprobieren. Bei Familienfesten zum Beispiel. Am Tisch, in einer Sprechpause, wenn man alles erwartete - nur das nicht.

Wenn eine dieser Tanten oder Omas zu Besuch waren, die die Weisheit über gute Kindererziehung mit dem Löffel zu sich genommen hatten. Genau in diesem einen Moment, wo sie ein prüfendes Auge auf das oder andere Kind geworfen hatte, man ihre Gedanken bereits zu lesen vermeinte...

Die Wörter fielen aber auch ganz beiläufig, während des Spaziergangs, besonders wenn wir Erwachsene miteinander im Gespräch vertieft waren.

 „Es ist nur eine Phase“, sagte ich mir dann immer.

Im Kindergarten waren diese Wörter anfangs fast noch harmlos. Trottel und Depp waren die ersten dieser „besonderen Wörter“, wie sie mein Ältester gerne nannte.  In der Volksschule waren diverse „besondere Wörter“ in allen Variationen an der Tagesordnung.  Beinahe wöchentlich brachten meine Jungs zu dieser Zeit eines davon mit nach Hause.

Natürlich habe ich unmittelbar meinen Unmut darüber kundgetan, denn bestimmte Wörter will ich einfach nicht hören. Nicht aus dem Mund meines Kindes, nicht aus dem Mund jeder anderen Person und schon gar nicht aus dem meinigen.  „Manchmal rutscht das Wort aber raus!“, sagte mein Sohn, wenn ich sauer wurde und ihn zur Rede stellte, wenn er wiederholt bestimmte Wörter benutzte.

„Es ist nur eine Phase“, sagte ich mir dann.

Mit jedem weiteren Kind in dieser Phase regte es mich weniger auf, das muss ich zugeben. Jedoch jetzt, in der weiterführenden Schule, werden auch mal Wörter mit nach Hause gebracht, die sogar mich, tatsächlich für einen kurzen Moment sprachlos machen. Und dabei dachte ich immer, ich sei cool genug, sie alle zu ertragen.

Es wird einfach nachgeplappert

Frage ich nach, merke ich jedoch recht schnell, dass mein Kind das Wort nachplappert, im seltensten Fall ist ihm dessen Bedeutung überhaupt ein Begriff.

Meinen Mittleren habe ich mal vor einigen Monaten gefragt, warum er eigentlich jetzt genau dieses eine Wort zum Testen mit nach Hause bringt (es war eines dieser Wörter, für dessen Verarbeitung ich einen Moment Zeit brauchte) und nicht ein anderes Wort wie zum Beispiel: smash! oder slay oder auch cringe? Die Definition dieser Wörter ist ihm doch genauso wenig bekannt und man bringt sie auch gut über die Lippen. „Es hat nicht dieselbe Kraft!“, erklärte er mir.

Manchmal bin ich müde, wenn ich tagelang und immer wieder ermahne und erkläre, warum es besser ist, diese besagten SCH- oder WIE-AUCH-IMMER-Wörter zu meiden, denn sie kommen ja bekanntlich umso leichter aus dem Mund geschlichen, je öfter sie benutzt werden.

Immer muss meine Mama bestimmen

Ich bin müde, frustriert und auch gelangweilt von diesem immer wiederkehrenden Thema -warum ich das nicht will und warum ich der Meinung bin, dass auch und vor allem meine Kinder diese Wörter nicht benutzen sollen.

Vor einigen Wochen, als ich hinter zwei Volksschulkindern herging, kam ich nicht umhin, ihre Unterhaltung mit anzuhören. Es ging, ihr werdet es schon erraten haben, um den Gebrauch von Schimpfwörtern. „Oh nein! - das darf man sagen“, dachte einer der zwei Jungen laut. „Scheiße aber wiederum nicht. Klingt aber besser!“

„Ja klar“, meinte sein Kumpel, „Oh nein! - das tut ja nichts. Das ist kein böses Wort. Aber das mit SCH – das mag meine Mama überhaupt gar nicht hören!“

„Meine Mama sagt zwar, dass sie das Wort nicht hören will, aber sie benutzt das Wort selbst die ganze Zeit.“ „Immer muss meine Mama über mich bestimmen“, war das letzte, das ich hörte, dann trennten sich unsere Wege.

Diese Unterhaltung war für mich nichts ungewöhnliches. Ähnliches kannte ich von meinen Kindern. Jedoch diese eine Sache: „Immer muss meine Mama über mich bestimmen“, triggerte mich.

Ein Versuch

Eventuell lag da also das Problem, beschloss ich für mich und überlegte, ob ich mir zutrauen sollte, ein Experiment zu wagen. Alt genug waren meine Kinder mittlerweile, so dachte ich jedenfalls, und beschloss, einen Versuch zu starten.

Ich gab uns 20 Minuten Zeit. Wir wollten gleich alle gemeinsam einen unkomplizierten Kuchen backen. Mein Großer kümmerte sich um eine schöne Musik, meine Tochter räumte die Spülmaschine aus, ihr älterer Bruder wog die Zutaten für den Kuchen ab. Alle vier hielten wir uns in der Küche auf.

In den nächsten Minuten wollten wir vor jedes Nomen das SCH-Wort als Adjektiv davor setzen und uns danach den Nachmittag lang beobachten, was das Wort mit uns macht.

20 Minuten waren viel zu lang, die ersten euphorischen SCH-erfüllten Sätze wurden relativ bald langweilig. Es ging nicht darum, neue Wörter zu erfinden, sondern ich wollte tatsächlich während dieser Zeit nur bei dem besagten SCH-Wort bleiben.

Nach 7 Minuten brachen wir ab. Jeder von uns hatte das Wort so oft ausgesprochen, wir ließen es gut sein. Wir hatten nun den Auftrag, die jeweils anderen Familienmitglieder zu beobachten.

Sollten sprachliche Besonderheiten auftreten oder sich das Verhalten verändert, wollten wir es auf einem Zettel notieren.

Die Kinder waren selbst ganz erstaunt, wie schnell und oft das SCH-Wort sich wie von Zauberhand in einen Satz grätschte. Besonders, wenn leichter Ärger oder Missmut mit im Spiel waren. Erstaunlich war auch die aufgeladene Grundstimmung.
Der Kuchen, endlich im Rohr, machte Platz für ein gemeinsames Kartenspiel. Eines, in dem es um Schnelligkeit, aber tatsächlich auch einfach nur um pures Glück ging. Natürlich wurde die Stimmung immer aufgeheizter. Über glückliche Gewinnerstimmung auf der einen Seite, legte sich frustrierte oder ärgerliche Verliererlaune auf der anderen.

Kaum war der Kuchen aus dem Ofen, machten wir uns gemeinschaftlich auf den Weg in den Wald, um unseren Geist zu lüften und die mittlerweile echt ätzende Stimmung loszuwerden.

Was mir das Experiment nun gebracht hat, wollt ihr wissen?

Eigentlich nichts. Gar nichts, um genau zu sein.

Die Erkenntnis, dass Schimpfwörter in unserem Sprachgebrauch nichts zu suchen haben, hatte ich auch schon davor. Die Erkenntnis, dass es mühsam ist, jeden Tag aufs Neue das Kind daran erinnern zu müssen, dass der Gebrauch dieser besonderen Wörter unerwünscht, sinnlos und doof sind, ebenfalls. Die Erkenntnis, dass diese Wörter umso öfter…

Ich wiederhole mich.

Eine Sache jedoch hat sich geändert: Seit dem Experiment sind nun einige Wochen vergangen. Schimpfwörter sind zurzeit nur noch selten bei uns zu Hause anzutreffen.

Wahrscheinlich eine Phase, denke ich mir.

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