Bist du schon, oder wirst du erst?

Wie sehr identifizieren wir uns über unseren Job und was vermitteln wir unseren Kindern übers Berufsleben? Wie können wir gesellschaftlichen Vorurteilen und Prägungen entgegenwirken und unsere Kinder bestärken, ihren individuellen Weg zu gehen?

 

Was möchtest du werden?

Ich sitze mit unserer fast dreijährigen Tochter an den Fragen des Freundebuches, das bei Abholung in der Kinderkrippe auf ihrem Platz stand. Ihr 1-jähriger Freund möchte darin wissen: „Was möchtest du mal werden?“. Während ich mal laut aufatme, wie wir denn die Frage jetzt schon wieder beantworten sollten, antwortet sie ganz bestimmt: „3 möchte ich werden und fröhlich!“


Ich finde die Antwort ganz großartig, unsere 5-jährige Tochter hingegen entgegnet mit belehrender Stimme: „Nein, nein, so geht das nicht! Möchtest du mal wirklich ein fröhlicher 3er werden, zwei Halbkreise übereinander? Du musst sagen, was du mal so richtig sein magst, z.B. Tierärztin, oder Prinzessin! Also das, was du dann machst!“

Die Antwort hat gesessen, bei meiner kleinen Tochter und bei mir.

Es ist eine Mischung aus Faszination, wie gut sie das erklären kann und Erschrecken, wie früh der gesellschaftliche Druck, etwas Bestimmtes sein zu müssen, schon in unseren Kindern arbeitet.

Natürlich machen Berufsausbildungen bzw. das jeweilige Studium, das wir wählen, einen Teil von uns aus, aber gleichzeitig sind wir alle Individuen und so viel mehr als das, was wir gelernt haben und arbeiten.

 

Mut zu Umwegen

Man entscheidet sich in teils sehr jungen Jahren für einen Weg, der oft über eine lange Zeit hinweg seine Berechtigung haben mag. Was dieser Weg dann tatsächlich bedeutet, lässt sich in frühen Stadien nicht abschätzen, denn genauso wie das Leben nicht linear verläuft, verändern auch wir uns persönlich. Wir lernen Möglichkeiten, Menschen, Orte kennen, die uns prägen und, wenn wir uns darauf einlassen, Schritt für Schritt mehr erkennen lassen, was uns gut tut. Wenn man einmal auf die Karriere-Leiter gestiegen ist, mag die logische Schlussfolgerung die nächste Sprosse sein, aber vielmehr sollten wir nach jedem Schritt mal innehalten und uns fragen, ob es sich richtig anfühlt, da weiter zu gehen.

 

Was uns die Gesellschaft vermittelt

Wir leben in einem Land, in dem die Titel regieren und in dem wir Anerkennung für unseren Beruf bzw. Tätigkeiten ernten. Wenn wir jemanden kennenlernen, steht die Frage nach dem Beruf meist an einer der ersten Stellen.

Aber wieviel kann man über eine Person wirklich vom Beruf erfahren? Machen uns nicht unsere Eigenschaften und Interessen besonders, die sich nicht unbedingt mit unseren Jobs decken müssen? Machen wir es uns nicht zu bequem, Leute je nach Beruf in diverse Schubladen zu stecken?


Mein bisheriger Werdegang ist ein ganz schönes Durcheinander und folgt keiner bestimmten Logik…lediglich dem Gefühl, was sich für einen jeweiligen Abschnitt als richtig und gut für mich und später auch für meine Familie angefühlt hat. Da gibt es abgeschlossene und angefangene Ausbildungen, ein begonnenes und ein durchgezogenes Studium mit sicherer Berufsaussicht, selbstständige Arbeit und diverse Jobs nebenbei und dann plötzlich mein Start als Verkaufsberaterin, für die die Stationen davor, rein objektiv, nicht notwendig gewesen wären.

Plötzlich ist da ein Bruch, der von außen nicht nachvollziehbar ist und irritiert.

 

"Herr Mag. Maier bitte, Fräulein!"

Als ich in der Bäckerei (ein Job, der für mich schon alleine deshalb seine Berechtigung hatte, weil ich dort meinen Mann kennengelernt habe) einen Kunden mit „Herr Maier“ anspreche, fügt dieser entnervt hinzu: „Herr MAG. Maier bitte, Fräulein!“. Meine Antwort damals: „Sehr gerne Herr Mag. Maier, sie werden übrigens auch von einem Fräulein Mag. bedient!"

Von dem Tag an wurde ich von dem Stammkunden wesentlich respektvoller behandelt als zuvor.

Plötzlich begegnete mir Herr Mag. Maier auf Augenhöhe. Ein Verhalten, das ich in meinen 6 Jahren im Verkauf nach wie vor nicht nachvollziehen kann. Hatte ich den Respekt damals nicht viel mehr deshalb verdient, weil ich schon um 4h aufgestanden war, um pünktlich in der Arbeit zu sein und dann bei Hitzealarm draußen, drinnen noch zusätzlich vom Backofen gebraten dennoch den KundInnen mit einem Lächeln zu begegnen?

 

Wie können wir unseren Kindern Achtsamkeit für diverse Berufsgruppen mitgeben?

 

#1: Welche Vorbilder sind wir?

Bedanken wir uns bei dem/der LehrerIn ausführlich für ihre vielen Bemühungen und fassen das auch vor den Kindern in Worte? Sehen wir der/dem VerkäuferIn in die Augen und pflegen auch in diesen kleinen Momenten einen respektvollen Austausch? Reagieren wir verständnisvoll, wenn ein Callcenter die Liste abarbeitet? Wissen wir die Arbeit vom/der Handwerker/in zu schätzen, bieten auch mal ein Getränk an, um sich kurz erholen zu können?

 

#2: Mit den Kindern im Alltag, oder auch angeregt durch Bücher und Spiele über diverse Berufe sprechen

Wer arbeitet für uns schon ganz in der Früh, wer arbeitet sogar in der Nacht? Wer arbeitet auch an Wochenenden und Feiertagen und kann dann nicht bei der eigenen Familie sein? Die Person an der Kassa hält den ganzen Tag das Piepsen des Scanners aus, die Leute am Bau den Krach der Baustelle. Die SchauspielerInnen stehen auch auf der Bühne, wenn es ihnen mal nicht so gut geht…usw.

 

#3: Berufsgruppen hautnah erleben

Es gibt in diversen Städten immer wieder Initiativen Berufswelten auch für Kinder spielerisch erlebbar zu machen, so bedeutet z.B. die Kinderstadt Mini-Salzburg für Kindern zwischen 7-14 Jahren eine tolle Gelegenheit, verschiedene Berufe selbst auszuprobieren. Zudem bieten etliche Firmen und Handwerksbetriebe Schauführungen, die nicht nur für Kinder einen spannenden Einblick geben. Dann gibt es noch zahlreiche Feste, bei denen auch immer Eindrücke erhascht werden können: das Mistfest der Müllabfuhr, der Tag der offenen Tür bei der Feuerwehr, das Krankenhausfest, „Blick hinter die Kulissen“-Führungen im Theater, usw.

 

Natürlich sollen die Kinder auch Spaß haben, diverse Berufe nachzuspielen und es ist nicht das Ziel, einen ernüchternden Realitätsabgleich der kindlichen Berufswünsche zu machen, sondern lediglich allen Berufsbildern den jeweiligen Respekt entgegenzubringen, den sie verdient haben und einen runden Einblick in Berufe zu gewähren.

 

Was ich unseren Kindern mitgeben möchte

  • Es ist wichtig zu arbeiten, um eine Absicherung zu haben und sich auch ab und zu etwas gönnen zu können, aber wir SIND NICHT das, was wir arbeiten.
  • Sucht euch eine Arbeit, die für euch in eurer Entwicklung Sinn macht bzw. der ihr viel abgewinnen könnt – bei der ihr persönlich dazulernen und an Herausforderungen wachsen könnt.
  • Achtet darauf, wie es euch im Team bzw. der Umgebung geht!
  • Arbeitet nur für Firmen, deren Philosophie und Strategien ihr vertreten könnt und für die ihr euch persönlich auch einsetzen wollt. Haltet dabei immer wieder inne, ob ihr wirklich die gleichen Werte vertretet.
  • Macht Ausbildungen, um die Wahl zu haben, wo ihr arbeitet.

 

 

Wo liegt nun das Gleichgewicht von Job und eigenen Interessen?

Manche Berufsbilder bieten einen guten Ausgleich von diversen Tätigkeiten und lassen ein gesundes Leben zu, andere fordern vollen Einsatz.

Manche von uns sind ausgefüllt von einem fordernden Berufsleben, anderen haben als oberste Priorität, eine Familie zu gründen und sehen die Bestätigung im Beruf weiter hinten gereiht auf der persönlichen Liste.

In jedem Fall sollte man zwischendurch immer wieder in sich gehen, und prüfen: lässt der Job wesentliche Wünsche an das Leben zu?

Fühlt sich der Weg, den man aktuell geht, stimmig an?

Denn der Job kann irgendwann plötzlich nicht mehr da sein, egal ob es an Einsparungen, Kinderbetreuung, Pensionierung o.Ä. liegt. Was dann übrig bleibt, ist das Leben und die Einsicht, dass es noch so viel mehr gibt als die Arbeit.

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