Bedürfnisorientierte Elternschaft: Warum Gefühle aller Familienmitglieder Beachtung finden sollten

Bedürfnisorientierte Elternschaft hat in letzten Jahren viel an Bedeutung gewonnen. Kinder nicht mehr als kleine Erwachsene zu betrachten und zu behandeln hilft dabei, sie am Weg des Großwerdens passend zu begleiten. Emotionen zu erleben und verstehen zu lernen ist ein wichtiger Bestandteil dieser Reise. Sich auf das unreife Kind einzulassen, anstatt es immer nur zu verbiegen und kontrollieren zu wollen ist das neue A&O der modernen Elternschaft. Doch gerade hier hagelt es auch an Kritik und Unverständnis, und viele fragen sich: erziehen wir nun wirklich selbstsüchtige Tyrannen, die alles dürfen?

Schon einmal im Voraus: Nein, wir erziehen keine zukünftigen Egozentriker. Wenn wir es richtig angehen, werden diese Generationen sogar emphatischer, aufgeschlossener und toleranter als je zuvor. Dennoch ist es sehr wichtig, nicht in die beliebte Falle der bedürfnisorientierten Elternschaft zu tappen: sich selbst zu vergessen.

Wenn schon Bedürfnisse, dann aber von allen Beteiligten

Während wir uns Tag ein Tag aus viele Gedanken über unsere Kinder machen, sie bei ihren Wutausbrüchen begleiten, ihnen helfen die eigenen Emotionen richtig zu benennen und mit ihnen danach suchen, was womöglich fehlen könnte, vergessen wir oft das Wichtigste: Dass wir selbst die größten Vorbilder unserer Kinder sind. Und das nicht nur in angespannten Situationen, in denen wir bereits lang geübte Gelassenheit zeigen. Nein. Die bedürfnisorientierte Elternschaft soll viel mehr sein, als nur Geduld und Hingabe. Sie soll authentisch sein und nicht wie nach einem Ratgeber ablaufen.

Denn wir alle sind unterschiedlich. Wir alle haben andere Charaktere und während der eine die Ruhe in Person ist, kann der andere so viel Temperament in sich tragen, dass er schon mal laut durchatmen muss, wenn der nächste Gefühlsausbruch seines Kindes beginnt. Genau daran sollten wir denken, wenn wir unseren Kindern alle Facetten des Lebens zeigen wollen.

Jetzt reicht es mir!

Das Kind tobt. Seine Mama kocht bereits innerlich, denn es geht schon eine Weile so. Dennoch zeigt sie ihr schönstes Lächeln und sagt mit ruhiger Stimme „Schätzchen, was ist los? Wie kann ich dir helfen?“ Am Ende des Tages fühlt sich die Mama komplett leer, wie ausgebrannt. Denn sie hat heute den ganzen Tag ihre Gefühle unterdrückt, um die Gefühlsausbrüche ihres Kindes gut begleiten zu können. Doch wie sinnvoll ist das?

Genauso wie bei bedürfnisorientierten Elternschaft durchaus Grenzen gezeigt und durchgesetzt werden dürfen (oder sogar sollen), können Eltern auch ihre wahren Gefühle zeigen.

Denn Kinder sollen nicht nur an eigenen Erfahrungen lernen, sondern auch in der Umgebung sehen, dass negative Gefühle zum Leben dazu gehören. Und wie sollen sie das lernen, wenn Mama und Papa immer lächeln?

Außerdem ist es kaum möglich immer gelassen zu bleiben. Deshalb ist es ratsam, sich authentisch zu verhalten. Denn Wut und Ärger zu zeigen muss nicht zwingend verletzend oder beängstigend sein. Worauf also achten, wenn sich die Wut anstaunt und raus möchte?

  • Im Moment bleiben: Sprüche wie „nie hörst du mir zu“ und „immer lässt du alles liegen“ entsprechen nicht der Wahrheit und geben einem das Gefühl grundsätzlich schlecht zu sein.
  • Immer das konkrete Verhalten, nie die Person als Ganzes kritisieren („Mich ärgert, dass du deine Hausaufgaben so spät am Abend erledigst.“ anstatt „Du bist verantwortungslos und undiszipliniert“.).
  • Immer von sich aus ausgehen und eigene Gefühle richtig benennen („Ich bin wütend, weil…“, „Mir ist es zu laut.“, „Ich brauche jetzt Zeit für mich, dann bin ich wieder für dich da.“).
  • Darauf achten, dass dem Kind die Liebe und Zuneigung nicht entzogen werden. Das Kind alleine ins Zimmer zu schicken oder ihm das Gefühl zu geben, es wird nicht mehr so geliebt wie sonst, wenn es sich „schlecht“ verhält, schadet der Bindung und der Beziehung zwischen dem Kind und den Eltern. Außerdem verliert dadurch das Kind an Sicherheit.
  • Im Nachhinein das eigene Verhalten reflektieren: War ich fair? Muss ich mich entschuldigen, weil ich vielleicht doch verletzend war? Soll ich meinem Kind noch einmal in Ruhe erklären, wieso ich so aufgebracht war? Sollen wir mit dem Kind nach möglichen Lösungen für die Zukunft suchen?

 

Jeder hat das Recht dazu, eigene Grenzen aufzuzeigen.

Auch als Mutter oder Vater. Gerade Eltern verschieben ihre Bedürfnisse, den Kindern zuliebe, oft ins Unerträgliche und fühlen sich danach leer und müde. Doch bedürfnisorientierte Elternschaft soll genau das Gegenteil bewirken. Vielleicht ist es für Kinder nicht immer einfach, wenn Mama sagt, sie braucht jetzt Zeit für sich. Doch mit empathischer Begleitung lernen Kinder dies zu akzeptieren und lernen dabei eine wichtige Lektion fürs Leben:

Dass eigene Bedürfnisse genauso wichtig sind, wie die Bedürfnisse der Menschen um uns herum.

Dies wird einem einjährigen Kind wahrscheinlich noch schwerer fallen, als einem Fünfjährigen, der die Situation schon besser versteht und eigene Bedürfnisse teilweise auf später verschieben kann. Allerdings kann bestimmt jede Mama oder jeder Papa ganz gut abschätzen, was sie dem eigenen Kind bereits zumuten können - damit sich am Ende das Kind nicht unverstanden fühlt und die Eltern dennoch entspannt und erholt ihrem Alltag nachgehen können.

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