Entschuldigung, auch für mich ist das die erste Pandemie

Voller Wut hat meine 15-jährige Tochter unlängst ihre Testaufgabe online abgegeben.

Die Frau Prof. XY hat einen Arbeitsauftrag gegeben, der nicht ausfüllbar war. Auf den vorgegebenen Linien konnte man nicht schreiben und die Grafik hat endlos zum Laden gebraucht.  Dazu gab es 20 Minuten Zeit und als Allererstes ist der Laptop beim Hochladen hängengeblieben. Bis ich das pdf dann umgewandelt und ausgefüllt habe, waren 15 Minuten vergangen und mir blieben 5 Minuten zum Ausfüllen. Das Zurück- Hochladen ist sich nicht ausgegangen und ich musste es als E-Mail schicken. Zurück schrieb die Frau Professor alles Mögliche von wegen Corona und so…. Und dann habe ich ihr zurückgeschrieben: „Ich verstehe schon, Frau Professor, dass sie es nicht besser können, aber auch für mich ist das die erste Pandemie.“

Was meine Tochter da in simple Worte gebracht hat, ist zutiefst wahr. Es ist für die allermeisten von uns – außer sie waren in Kriegszeiten von Typhus betroffen – vermutlich die erste Pandemie. Und wir alle agieren wie Frau Prof. XY – ein wenig stressig, hektisch, hilflos, bauen Pannen, lernen beim Tun, machen Fehler … und dann gibt es eigentlich nur eine Reaktion:  einander zu verzeihen. Entschuldigung, wir haben nun mal wenig Erfahrung mit alledem.

Zur allgemeinen Verunsicherung tragen die sich ständig ändernden Regeln bei: „Was der Babyelefant war abgeschafft?“,  habe ich mich erst gestern gefragt, als ich erfahren habe, dass er wieder eingeführt worden ist, „Also ich habe ihn immer gehalten … ist doch eh angenehmer.“

Zwei Personen mit Abstand und Maske sitzen auf einer Bank

Außerdem muss man seinen eigenen Kindern ebenso wie seinen Schülerinnen und Schülern immer wieder erklären, warum nicht alles ganz logisch ist, was da in den diversen Vorschriften steht, aber dennoch einzuhalten, weil es eben auch die Behörden nicht besser wissen … auch für die meisten der Beamten dürfte es die erste Pandemie sein. „Warum ist die Lena als Kontaktperson 2 in der Schule und die Klara muss 10 Tage daheimbleiben, obwohl beide in derselben Klasse gleich nah an der positiv getesteten Person saßen?“ „Nun weil die Klara in einem anderen Bezirk lebt! Darum ist auch der Lehrer Y jetzt 10 Tage nicht da und der Lehrer X rennt mit einer besseren Maske herum! Ach ja und übrigens herrscht Datenschutz und wir dürften gar keine Namen sagen!“

Letztes Problem sollte ich zumindest nach den Ferien nicht mehr zu erklären haben, weil es das Bildungsministerium schon erkannt hat. Auch Minister Faßmann managt seine erste Pandemie …. Und ich finde, er macht das gar nicht so schlecht.

Dabei bin ich als Lehrerin ständig mit Fragen konfrontiert, die ich nicht beantworten kann, weil die dafür zuständige Behörde die jeweilige Maßnahme noch nicht einmal beschlossen, geschweige denn mitgeteilt hat: „Wie komme ich in die Schule, wenn dazwischen eine rote Zone ist?“, „ Dürfen wir jetzt unter Corona-Auflagen im Dezember ins Theater gehen?“, „Fahren wir nun im Juni auf Sportwoche?“. Ich würde es so gern beantworten und ich würde den jungen Menschen so gerne Hoffnung machen, dass alles wieder ganz normal wird, weil ich sehe, wie gerade Teenager den Mut verlieren und immer mehr Jugendliche in depressive Phasen rutschen.

Seit März  bin ich beständig am Stornieren von Veranstaltungen, die „leider doch nicht“ geklappt haben. Das ist mühsam und ich habe schon festgestellt, dass Klassenreisen viel Arbeit machen, aber nicht mit der Klasse zu verreisen, obwohl es geplant war, noch viel mehr. Umso erhebender sind dann die kleinen Ereignisse, die doch geklappt haben: Ein Workshop mit einem Künstler konnte stattfinden. Unser Debattierturnier haben wir elektronisch bewerkstelligt. Wenigstens das Klassenfoto haben wir noch gemacht … man freut sich auf einmal über Kleinigkeiten. Man ist dankbar für Dinge, die sonst im Alltag untergegangen wären.  Und daher plane ich weiter, schon allein um den  jungen Leuten die Hoffnung auf bessere Zeiten zu schenken. 

So neu uns nämlich viele Situationen seit dem Covid 19-Ausbruch sind, so alt ist letztlich das Grundrezept, wie man mit den meisten fertigwerden kann: Man nehme eine Prise Dankbarkeit und eine große Portion Geduld und streue über alles eine Überdosis Hoffnung. Gutes Gelingen! 

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