Paarberatung: Wann ist sie sinnvoll?

Die Entscheidung, in einer Krise Hilfe von außerhalb zuzulassen, kann mit großen Hemmungen verbunden sein. Wir wollten von der Leiterin des Beratungsdienstes im IEF – dem Institut für Ehe und Familie – wissen, was es mit Paarberatung genau auf sich hat, wann es Sinn macht Hilfe zu suchen und was einen dort erwartet.

Dieser Beitrag ist in der Zeitschrift Familie als Berufung erschienen.

FAB: Die Leser der Zeitschrift „Familie als Berufung“ sind Ehepaare und Familien, die sich um ein geglücktes Familienleben bemühen und auch bereit sind, etwas in ihre Beziehung zu investieren. Doch auch sie sind vor Problemen und Krisen nicht gefeit. Aus Ihrer Erfahrung: Wann macht es Sinn, Hilfe zu suchen?

Ganneshofer: In den Herausforderungen des Lebens brauchen Menschen manchmal ein offenes Ohr und kompetente Unterstützung. Es macht daher in allen Lebenslagen Sinn, Beratung in Anspruch zu nehmen. Es gibt Menschen, die kommen mit kleineren Alltagssorgen, bereits dann, wenn „der Schuh ein wenig drückt“, andere führen große, schwierige Lebensthemen zu uns. Als Leiterin des katholischen Beratungsdienstes am Institut für Ehe und Familie, einer Einrichtung der österreichischen Bischofskonferenz, ist es mir wichtig, dass jeder Ratsuchende ganz individuell begleitet wird. Unsere ausgebildeten Ehe-, Familien- und Lebensberater unterstützen mit methodisch geführten Gesprächen bei der Suche nach Lösungswegen und helfen bei der schrittweisen Umsetzung.

Bei der Beratung steht dieser konkrete Mensch im Mittelpunkt. Wir beziehen die konkrete Lebenssituation und den persönlichen Glauben in die Beratung mit ein.

Als junges Paar in die Beratung kommen

FAB: Gibt es bestimmte Phasen im Leben, wo Menschen häufiger Hilfe suchen?

Ganneshofer: Junge Paare haben anfangs viele herausfordernde Phasen zu meistern, z.B. wenn das erste Kind das Paar zu einer Familie formt. Diese kritischen Lebensumbrüche
werden oft als sehr verunsichernd erlebt. Das Wahrnehmen der Schwierigkeiten ist schon ein erster wichtiger Schritt. Ich möchte besonders junge Paare ermutigen, frühzeitig zur Beratung zu kommen, denn anfangs ist es leichter, Weichen neu zu stellen.

Oftmals kommen Paare leider erst, wenn die gegenseitigen Vorwürfe sich so sehr türmen, dass der Blick auf den Partner völlig verstellt ist.

Andere häufige Anlässe sind ungelöste Konflikte oder ständige Differenzen, Kommunikationsprobleme, Erziehungsschwierigkeiten, Sinnkrisen, Stress, Mobbing, Burnout bis hin zu Lebenskrisen wie Trauer, Überforderung, Trennung, Scheidung, Gewalt oder psychische Probleme.

Wann man Hilfe suchen sollte

FAB: Und wann konkret sollte man unbedingt Hilfe suchen?

Ganneshofer: Ein gutes Kriterium ist: Wenn ich den Eindruck habe, etwas belastet mich fast täglich, ich habe es schon mit der Freundin, einer Vertrauensperson oder mit einem Priester beredet, aber ich komme da nicht weiter, ich „stehe an“ – dann ist es wichtig, sich professionelle Unterstützung zu suchen.

Dieses „Anstehen“ ist so etwas wie ein Hinweisschild, vergleichbar mit einer Sackgasse, wo ich immer wieder an ihrem Ende anstoße, bis ich endlich kapiere: „Stopp, umdrehen, da geht es nicht weiter!“ Oft halten Partner an immer gleichen Streitszenarien und -mustern fest und spiegeln einander mit ständigen Vorhaltungen ihre Schattenseiten auf zermürbende Weise. Sie laufen immer wieder in die gleichen „Sackgassen“ hinein.

Paare lernen in der Beratung, neue Wege zu gehen und die Botschaften zu verstehen, die hinter diesen „Sackgassen“ liegen. Sie lernen ihre Wünsche zu äußern, die hinter Vorwürfen, Wut, Resignation, Rückzug usw. liegen bis neue Verbundenheit und Nähe wachsen kann.

FAB: Wie darf ich mir das vorstellen, jemand kommt zu Ihnen …

Ganneshofer: … dann schauen wir gemeinsam: Was ist Ihr Anliegen? Was sind die Schwierigkeiten, wo liegen vielleicht neue Möglichkeiten, sogar Chancen? Wichtig ist zu wissen, dass Beratung ein urteilsfreier Raum ist. Hier ist ein Platz, wo ich alles in geschützter Atmosphäre sagen kann, sozusagen „alles auf den Tisch legen kann“, wo ich sein darf, wie ich bin, mit allem, was ich mitbringe. Auch meine Gefühle dürfen Platz nehmen und werden durch den Berater nicht moralisch bewertet. Ich darf hier meine Wut ansprechen. Die Frage ist: Was mache ich dann mit der Wut? Wo führt sie mich hin? Aber empfinden darf ich sie. Ich darf sie bei mir wahrnehmen und schauen, woher sie kommt, was sie mir eigentlich sagen will und wie sie für den anderen ist. So entsteht ein gemeinsamer Prozess.

FAB: Menschen bringen in die Ehe Belastungen aus ihrer Kindheit mit, z.B. die Scheidung der eigenen Eltern, unter der sie als Kinder gelitten haben. Jetzt möchten sie in ihrer eigenen Ehe alles besser machen. Wo sehen Sie Bedarf, solche Erlebnisse mit professioneller Hilfe aufzuarbeiten? Was sind Kriterien, dass man das alleine schaffen kann?

Ganneshofer: Der Wunsch, es besser zu machen, ist eine große Ressource. Beratung hilft, diese innere Kraft zu nutzen. Viele Menschen bringen heute einen großen Lebensrucksack
mit. Die Frage ist: Kann ich ihn tragen? Gibt es irgendetwas in dem Rucksack, was herausgehört? Kann ich ihn auch einmal abstellen? Drückt mich seine Last zu Boden? Wir schauen, wenn der Beratungsprozess es erfordert, auch auf das, was dahinter liegt und helfen, länger zurückliegende Emotionen zu bergen und zu integrieren. Habe ich mein Baumaterial, meine Lebensgeschichte prinzipiell angenommen? Das muss keinesfalls heißen, dass ich es gut und richtig finde, was damals war. Wichtig ist meine Stellungnahme, dass ich heute meine innere Position und einen Abstand dazu finde.

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Ich bin von meiner Ausbildung her Existenzanalytikerin, daher möchte ich Menschen stärken, ein neues Ja zum Leben zu finden. Ich darf so sein wie ich bin, mit und vielleicht trotz meiner Lebensgeschichte! Erst mit dieser inneren Zustimmung gelingt es „zu werden“, zu wachsen und sich weiterzuentwickeln. Menschen, die es „alleine schaffen“, holen sich z.B. Hilfe im Freundeskreis. Vieles kann ich vielleicht mit einer Freundin besprechen, dann geht es mir danach besser, und die Sache ist durch das Erzählen schon erledigt. Manchmal kann ich Dinge aber
nicht wegstellen, die kommen immer wieder herein und belasten mich. Ich merke, ich reagiere wie meine Mutter, obwohl ich das gar nicht will. Oder ich trage alte Glaubenssätze in mir, die mich beeinflussen, wie „ich bin nicht gut genug“ oder „ich störe sowieso immer“. Es ist ein Zeichen von Stärke, sich Unterstützung zu holen und diese Leitbilder zu bearbeiten.

Kleine Veränderungen wirken

Wenn das Leben wie ein Flussbett durch Geröll und Geäst verstopft ist, wenn der Fluss nicht mehr frei und lebendig fließen kann, hilft Beratung, an einigen neuralgischen Punkten den Schutt zu entfernen. Wir müssen nicht jeden Stein mühsam herausholen. Bereits kleine punktuelle Veränderungsschritte können maßgeblich wirken. Die Strömung, die für katholisch verheiratete Paare im gegenseitig gespendeten Ehesakrament als „Gnadenstrom“ verborgen liegt, kommt dem Paar zu Hilfe. Sie legt den Fluss wieder frei, um die schönen Seiten des Partners neu zu entdecken.

Ich erinnere mich an ein Ehepaar, das zur Beratung kam, sie hatten noch sehr kleine Kinder und waren ziemlich ineinander verhakt. Ich fragte ihn: „Was ist denn im Moment das Schlimmste?“ „Wenn ich heimkomme von der Arbeit, das ist furchtbar“, meinte er. Ich habe ihn aufgefordert zu erzählen, wie das dann für ihn genau ist. „Ich läute an, und es macht mir zuerst einmal keiner auf. Dann sperre ich auf, aber die Türe lässt sich schlecht aufmachen, weil dahinter der Kinderwagen steht und ich gar nicht richtig durchkomme. Wenn ich bei der Küche vorbei gehe, sehe ich den ganzen Geschirrhaufen, alles was noch nicht abgewaschen ist. Endlich im Wohnzimmer angekommen, sitzt meine Frau da und stillt das Baby, sie schaut mich nicht einmal an.“

Seine Frau war sehr betroffen über seine Sichtweise und sagte: „Das habe ich alles gar nicht gewusst. Ich hatte keine Ahnung, wie du das empfindest. Du hast mir nie gesagt, dass dich der Kinderwagen stört. Den kann ich ja rausstellen.“ Und dann haben die beiden gemeinsam überlegt, was sie verbessern können. Sie hatten die Idee, einfach die Küchentüre zu schließen, damit er den Geschirrberg nicht gleich zu Gesicht bekommt. Also ganz einfache Maßnahmen. Sie lernten ihre Bedürfnisse zu benennen. Er hatte die Dinge zuvor nie adäquat angesprochen (wenn, dann nur vorwurfsvoll), sie hat manches einfach aus Zeitnot und Betrieb nicht wahrgenommen.

Dieses Ehepaar hatte keine „Weltprobleme“, aber Probleme, die für sie weltbewegend waren. Hier sieht man gut, wie Beratung wirkt: Kleine Veränderungen, große Wirkung.

Anderen professionelle Hilfe empfehlen

FAB: Das bringt mich zu einer anderen Frage: Wir kommen am Spielplatz oder am Arbeitsplatz oft ins Gespräch mit anderen und da passiert es, dass sich Menschen bei uns „ausweinen“. Manchmal gibt es auch Paare, die bei uns Rat suchen. Wie geht man damit am besten um?

Ganneshofer: Hier stellt sich die Frage: Wo liegen die Grenzen unserer persönlichen Hilfestellung? Die Freundin ist die Freundin und sollte die Freundin bleiben dürfen. Diese Beziehung darf nicht in Anspruch genommen sein von Dingen, die die Freundschaft überfordern, auch wenn ihre Ratschläge sicher gut gemeint sind. Wenn man merkt, meine Freundin oder Bekannte kommt dadurch nicht weiter, ist es gut vorzuschlagen, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.

FAB: Wie spricht man so etwas dann in einer guten Art an? Ganz direkt?

Ganneshofer: Ich glaube, manchmal ist es ein Zeichen von freundschaftlicher Verantwortung zu sagen: „Du, du bist mir so wichtig, dass ich dir raten möchte: Ich glaube, du brauchst professionelle Hilfe.“ Da ist die Wertschätzung und ernsthafte Sorge spürbar. Nicht: Ich will damit nichts zu tun haben, sondern ich merke: Ich komme da an meine Grenzen, ich kann dir gar nicht weiterhelfen oder ich kann das Ausmaß der erforderlichen Hilfe nicht bringen.

FAB: Man hat innerlich oft schon eine große Scheu, für sich selbst Hilfe zu suchen – noch viel mehr, wenn es darum geht anderen Hilfe zu „empfehlen“. Können Sie mir diese Scheu etwas nehmen?

Ganneshofer: Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Für viele ist es eine große Hürde, sich Hilfe zu holen. Es kann helfen, wenn Sie hier eine geeignete Adresse empfehlen können, wie z.B. den katholischen Beratungsdienst des Institutes für Ehe und Familie, der auf einem christlichen Menschenbild aufsetzt. Wenn Ihnen der andere wichtig ist, können sie die eigene Scheu überwinden. Wir helfen, die Sachlage professionell einzuschätzen und empfehlen bei Bedarf, an Fachleute unseres Vertrauens weiter (Psychologen, Psychotherapeuten, Juristen aus dem Familienrecht,
Suchthilfe, Mediatoren). Unser Angebot findet in einem geschützten Rahmen statt und unterliegt den Grundsätzen der Verschwiegenheit und Anonymität. Die Leistungen unserer Berater
sind für Sie kostenfrei.

Der eigenen Beziehung viel zutrauen

FAB: Macht es Sinn, wenn nur ein Ehepartner zur Beratung kommt, wenn der andere das nicht möchte?

Ganneshofer: Ja, natürlich macht es auch Sinn, wenn ein Partner für sich Beratung in Anspruch nimmt. Durch klärende Gespräche verändert sich meine Sichtweise. Ich lerne vielleicht auch einmal etwas für mich zu tun, mich selbst besser wahrzunehmen oder überhöhte Erwartungen in meiner Beziehung zu überdenken.

FAB: Was sind die schönsten Erfahrungen, die Sie in Ihrem Beruf machen?

Ganneshofer: Für mich sind es immer wieder bewegende Momente, wenn Menschen den Mut finden, sich ihren Lebensfragen ehrlich zu stellen und miterleben zu dürfen, wie sie über sich hinauswachsen. Auch ihre Nöte und Tiefen gemeinsam durchzugehen ist für mich oft sehr berührend. Hier fällt mir ein Ehepaar mit vier Kindern ein, 30 Jahre verheiratet, das viele Jahre in getrennten Schlafzimmern gelebt und noch nie als Paar auf Urlaub gewesen war. Sie kamen zunächst mit einer festen Trennungsabsicht. Bei jedem Gespräch vollzog sich eine kleine Wandlung. Die beiden haben neue Verbundenheit gefunden, aber auch gegenseitig neue Grenzen setzen gelernt. Eine Postkarte der „Frischverliebten“ aus ihrem ersten gemeinsamen Urlaub war für mich ein echtes Beratungshighlight.

Heute haben immer weniger Ehepaare den Mut, an ihre Beziehung zu glauben, viele geben sehr früh auf.

Wenn Paare dafür offen sind, an ihrer Beziehung zu arbeiten, können sie einen gemeinsamen Heilungsweg finden. Ich traue den Paaren sehr viel zu, weil ich weiß, dass sie ihr Potential für einen gemeinsamen Neubeginn sozusagen „in der Handtasche durch die Beratungstür“ selbst mit hereinbringen.

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