Heikle Esser? Eltern dürfen gelassen sein

Ernährungsberaterin und Diätologin Roswitha Pöchhacker über gesunde Kinderernährung, warum wir Süßes, Salziges und Fettes brauchen und welche Tricks wir Eltern anwenden dürfen, wenn es um Gemüse geht.

Die Erfahrungen, die wir im Laufe der Evolution gesammelt haben, können wir nicht so leicht abschütteln. „Süß, salzig, fettig – das ,kennen‘ wir sozusagen genetisch – das ist ein Wissen, das uns die Evolution mitgegeben hat“, sagt Ernährungsberaterin und Diätologin Roswitha Pöchhacker. „Fett hat schon den ersten Menschen Energie gebracht, durch Salziges bekamen sie die notwendigen Mineralstoffe und Süßes signalisierte ihnen meistens, dass diese Nahrung nicht giftig ist. Sauer und bitter hingegen waren sozusagen ,Warngeschmäcker‘ – was sauer oder bitter war, war oft auch giftig. Dieses Wissen hat den Menschen vor Urzeiten das Überleben gesichert und wir haben es heute noch in uns.“

Kein Wunder also, wenn wir heute immer noch auf Fettes, Süßes und Salziges „abfahren“. Bei Kindern ist gar der erste prägende Geschmack „süß“.

Muttermilch, oder auch die Prenahrung, die als Ersatz für Muttermilch genommen wird, schmeckt süßlich.

„Kinder sind ,süß‘ gewohnt“, betont die Ernährungsberaterin: „Ihnen etwas anderes im wahrsten Sinn des Wortes schmackhaft zu machen, braucht mitunter Zeit und Geduld.“

Essen ist Lernsache

Das erste Mal erfahren das Eltern meist, wenn sie mit der Beikost beginnen. Karotten, Kürbis und Pastinake, die – je nach Qualität – süß(lich) schmecken, sind da oft die erste Wahl. „Bei anderem Gemüse ist es oft so, dass die am Anfang als nicht so attraktiv wahrgenommen werden“, sagt Roswitha Pöchhacker. „Wichtig ist da nur, dranzubleiben, es immer wieder anzubieten.“

Grundsätzlich sei es eine unabänderliche Tatsache, dass Kinder Lebensmittel bis zu 16 Mal kosten müssen, um sie als vertraut wahrzunehmen.

„Und am Ende kann dann trotzdem stehen, dass mein Kind Kohlrabi einfach nicht mag“, lacht die Ernährungsberaterin: „Das sollte man als Eltern dann aber auch so stehen lassen können. Wir Erwachsenen mögen doch auch nicht alles bzw. haben die eine oder andere Vorliebe oder eben auch Abneigung.“ Wichtig sei in jedem Fall, gerade wenn es um die erste Beikost geht, die Speisen nicht zu würzen. „Vor allem nicht süßen und nicht salzen“, so Pöchhacker: „Zucker verdirbt den Appetit und außerdem sollen die Kinder doch die Chance haben, den natürlichen Geschmack der Lebensmittel kennenzulernen.“

Vor allem jenen Mamas und Papas, die darunter leiden, dass ihre Kinder „heikle“ Esser sind, rät Pöchhacker zu mehr Gelassenheit. „Überfordern Sie Ihre Kinder nicht und überfordern Sie sich selbst nicht“, sagt Roswitha Pöchhacker. „Erzeugen Sie keinen Druck, zwingen Sie nichts auf – das führt zu nichts.“ Eltern haben natürlich eine große Verantwortung, was die Ernährung betrifft, aber:

„Manchmal kann man eben auch nicht mehr, als alles anzubieten und zu hoffen, dass das Kind ‚anbeißt‘.“

Junge isst Maiskolben

Gesunde Kinderernährung: Tricks sind erlaubt

Und wenn die Eltern wirklich den Eindruck haben, dass gar nichts mehr geht, wenn etwa Gemüse konsequent verweigert wird, so der Rat der Ernährungsberaterin, darf auch tief in die Trickkiste gegriffen werden. „Wenn das Kind etwa kein rohes Gemüse isst, versuchen Sie doch einmal Gemüsecremesuppen. Die sind bei den meisten Kindern äußerst beliebt. Oder Sie versuchen einfach einmal ihm klein geschnittenes Gemüse – oder auch Obst – auf dem Spielplatz in die Hand zu drücken.“

Kinder seien in Situationen oder an Orten, die sie lieben, oft aufgeschlossener für neue oder in ihren Augen nicht so attraktive Essenserlebnisse.

Manchmal helfe es auch, etwas Bekanntes und etwas Unbekanntes gleichzeitig auf einen Löffel zu legen. Ein Stück gekochte Karotte etwa und ein Stück vom Grießnockerl oder ein Stück Brokkoli und eine Nudel. „Sagen Sie Ihrem Kind, dass die beiden unbedingt gemeinsam in den Mund hineinwollen – das funktioniert bei kleineren Kindern oft recht gut.“

Und wenn das Kind alles außer Nudeln verweigert? „Dann machen sie ihm doch einfach mal ein paar Tage nur Nudeln“, lacht Roswitha Pöchhacker: „Das verlangt zwar schon einen gewissen Mut und ein gewisses Durchhaltevermögen von Seiten der Eltern. Aber ich denke, auch der größte Nudelliebhaber bekommt Lust etwas Neues zu probieren, wenn es nur mehr Nudeln gibt. Irgendwann ist auch hier die sogenannte sensorische Sättigung erreicht.“

Mit scharfen Messern und viel Vorsicht

Viel Erfolg bringe es auch, Kinder schon früh mitkochen zu lassen. „Meine kleine Tochter schneidet mit Vorliebe Gemüse und ganz nebenbei wandert da beim Schneiden das eine oder andere Stückchen in den Mund“, erzählt die Ernährungsberaterin aus eigener Erfahrung. Gerade ältere Kinder könne man auch gut in die Erstellung des Familienspeiseplans miteinbeziehen.

Essen sei eben nicht nur Nahrungsaufnahme. Essen sei auch viel Emotion – Spaß am Kochen, Freude an den Lebensmitteln, an dem, was man aus ihnen „zaubern“ kann. „Setzen Sie daher nicht nur auf den Verstand der Kinder – erzählen sie ihnen nicht dauernd, dass es ,gesund‘ ist“, rät die Ernährungsexpertin:

„Zeigen Sie ihnen vor allem auch, dass es schmeckt. Vermitteln Sie dem Kind, Freude am Essen, Freude an Lebensmitteln.“

Erdbeeren auf einem Erdbeerfeld pflücken – und auch gleich ein paar zu essen – mache meist allen Familienmitgliedern Spaß. Ebenso verhalte es sich mit der Tomatenzucht am eigenen Balkon.

Kinder lernen durch Vorbilder – auch beim Essen

„Vor allem aber: Essen Sie das, was sie dem Kind anbieten, auch selber. Kinder lernen durch Vorbilder – das ist beim Essen nicht anders als in anderen Lebenslagen.“ Grundsätzlich gelte vor allem für ältere Kinder: „Die Eltern entscheiden, was auf den Tisch kommt. Die Kinder dürfen mitentscheiden, was und in welcher Menge sie sich davon auf ihren Teller laden. Mit ein wenig Glück und Konsequenz kommen da mit der Zeit auch die gesunden Dinge nicht zu kurz. Vor allem, wenn die kleinen sehen, dass auch Mama und Papa beim Gemüse kräftig zugreifen.“

Das Ideal der gesunden Ernährung

Die „österreichische Ernährungspyramide“ mit ihren sieben Stufen sieht Pöchhacker übrigens als Ideal der gesunden Ernährung, das in Schulnoten ausgedrückt sozusagen eine 1+ verdiene. Natürlich sollten wir uns dem annähern, doch dass das manchmal nicht so gut klappe, sei normal.

Die Basis bilden alkoholfreie bzw. „energiearme“, also möglichst ungezuckerte, Getränke – mindestens 1,5 Liter täglich. Dazu kommen täglich 3 Portionen Gemüse und/ oder Hülsenfrüchte und 2 Portionen Obst – wobei eine Portion etwa einer Handvoll entspricht. Getreide, Brot, Nudeln, Reis oder Erdäpfel stehen 4 Mal am Tag auf unserem Speiseplan geht es nach der Ernährungspyramide; Milch- und Milchprodukte 3 Mal am Tag. Fisch gibt es 1 bis 2 Mal wöchentlich, mageres Fleisch oder magere Wurst lediglich 3 Mal, außerdem 2-3 Eier pro Person. Nur in wirklich kleinen Mengen steht Fett auf dem Speiseplan – 1-2 Esslöffel täglich. Noch seltener finden fett-, zucker- und salzreiche Lebensmittel und „energiereiche“, also gezuckerte, Getränke Eingang in unseren Ernährungsalltag. Pöchhacker ergänzt: „Dass es davon Ausreißer gibt, ist kein Drama. Und ein bisschen etwas Süßes darf sowieso auch sein.“

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